Die Gabe des Commissario Ricciardi
keine Sorgen. Wie der Commissario schon sagte, ist unser Doktor hier der einzige Arzt in Neapel, der Wunder bewirken kann.
Modo täuschte eine ärgerliche Geste vor.
– Die Wunder könnt ihr bei Gott beantragen, er hat ja auch bald Geburtstag. Ich bin Wissenschaftler, und als solcher sage
ich, dass es ein Verbrechen ist, es mit einem Kind so weit kommen zu lassen, wo schon eine einfache Behandlung zu Beginn der Krankheit gereicht hätte, es zu heilen.
Boccia sprach mit finsterer Stimme:
– Da sagen Sie was Wahres, Doktor. Aber Medizin ist teuer, und wenn jemand entscheiden muss, ob seine Kinder essen oder behandelt werden sollen, hofft er, dass sie aus eigener Kraft gesund werden.
Modo war verärgert.
– Es ist aber falsch, so zu denken! Kommen Sie doch zumindest ins Krankenhaus, nicht? Fragen Sie, wie schlimm es ist, informieren Sie sich!
Maione lächelte den Boccias zu.
– Keine Sorge, der Doktor ist immer so, er brüllt und tobt, aber dann bringt er doch alles ins Lot. Seien Sie unbesorgt.
Der Arzt warf ihm einen grimmigen Blick zu, dann konzentrierte er sich wieder auf den Kleinen. Nach ein paar Minuten richtete er sich auf, rückte sich die Hosenträger zurecht und zog die gelockerte Krawatte wieder fest.
– Er hat jetzt kein Fieber mehr. Wir müssen die Wirkung der Arznei abwarten, die ich ihm gegeben habe. In etwa sechs Stunden muss er diese Pillen einnehmen und in acht Stunden diese hier. Falls er hustet und Sie das Pfeifen wieder hören, Signora, geben Sie ihm einen Löffel von diesem Sirup hier. Haben Sie alles genau verstanden?
Boccia trat einen Schritt vor und sah Modo stolz an.
– Herr Doktor, ich kann Ihnen die Medikamente nicht bezahlen. Auch nicht Ihren Hausbesuch.
Modo schaute erst zu Maione, bevor er antwortete:
– Wer sagt etwas davon, dass Sie mich bezahlen sollen oder
die Medikamente? Haben Sie nicht gehört, dass ich der Privatarzt des Kommissars und des Brigadiere hier bin? Keine Sorge, Sie schulden mir nicht eine Lira. Wir sehen uns morgen Abend, da komme ich zur Kontrolle.
Maione folgte dem Blick der Eltern zu ihrem Sohn, der nun endlich friedlich schlief. Jenseits des Fensters schwappte das Meer leise und gemächlich gegen die vertäuten Boote.
Das Gesicht der Frau entspannte sich; es war das erste Mal, dass der Brigadiere sie ruhig und gelassen sah.
– Dann erlauben Sie uns, Ihnen morgen etwas Fisch zu schenken. In zwei Tagen ist ja schon Weihnachten.
Modo sah sie erfreut an.
– Ah, sehen Sie, damit machen Sie mir wirklich eine Freude. Vielen Dank, Signora, ich nehme das Angebot gerne an.
Modo pfiff kurz und leise, worauf sich eine schwanzwedelnde Gestalt aus dem Schatten löste und ihm im Licht der Straßenlaternen folgte.
Der Doktor stellte den Mantelkragen auf, setzte sich den Hut auf den Kopf und ging seines Weges.
XLIV
Ricciardi fühlte sich ganz starr vor Kälte und in seinem Kopf schwirrte alles durcheinander.
Seine Runde bei den wenigen Import- und Exportfirmen am Hafen hatte keinerlei Ergebnis gebracht. Die Verantwortlichen erinnerten sich vage daran, dass Lomunno vor ein paar Tagen bei ihnen gewesen war, um nach Arbeit zu fragen, doch sie hätten nicht einmal das genaue Datum, geschweige denn die Uhrzeit nennen können. Einige hatten ihn erst gar nicht eingelassen: Entweder war nichts frei oder man fürchtete, die
Miliz gegen sich zu haben, wenn man jemanden einstellte, den diese unehrenhaft entlassen hatte.
Jedoch bestätigten alle, von ihm vor seiner Entlassung einen sehr guten Eindruck gehabt und sich über die Anschuldigungen und seine Verhaftung gewundert zu haben.
Ein Mann, der Verwaltungschef einer Reederei war, sagte ihm sogar, er habe den Eindruck, dass nicht alle in der Miliz von Lomunnos Schuld überzeugt seien und sie den verstorbenen Garofalo, dessen mustergültige Fassade nicht besonders glaubhaft war, nicht ausstehen konnten.
Dieses letzte Gespräch bewog Ricciardi spontan dazu, noch einmal in der Kaserne vorbeizuschauen. Zumindest würde er sich dort ein wenig aufwärmen können.
Der Unteroffizier an der Pforte war derselbe Mann wie beim letzten Mal; er erkannte den Kommissar und grüßte mit dem üblichen enthusiastischen Hackenzusammenschlagen. Ricciardi fragte direkt nach dem Konsul. Nach einem kurzen Wortwechsel an der Sprechanlage erschien der Soldat, der draußen vor der Tür des Oberbefehlshabers postiert war, um ihn zu ihm zu bringen.
Der Empfang war herzlich. Der Konsul kam ihm durch sein riesiges Büro entgegen.
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