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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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halbwüchsiger Sohn gingen gemeinsam auf die Eingangstür eines nahe gelegenen Wohnhauses zu, während der hagere, dunkle Mann rauchend und langsamen Schrittes auf ein nicht weit entferntes Wirtshaus zusteuerte. Maione folgte den ersten beiden.
    Er klopfte kräftig an die Haustür, der Junge öffnete. Er zeigte weder Angst noch Unbehagen, lediglich Neugier. Dann
schien ihm etwas klarzuwerden. Boccia musste wohl von ihrem Besuch erzählt haben.
    Maione wurde hereingebeten; man bot ihm ein Glas Wein an, das er ablehnte. Bei den zwei Männern befand sich noch eine sehr betagte Frau, vielleicht die Großmutter des Jungen. Maione nannte den Grund seines Besuchs, hatte aber den Eindruck, dass das keineswegs nötig war.
    – Ja, Brigadiere, da können Sie sicher sein: Aristide war mit uns draußen auf See, – sagte der Mann. – Wir hätten sonst nicht rausfahren können.
    Maione fragte:
    – Warum denn nicht?
    Der Mann rauchte und schützte seine Zigarette dabei mit der hohlen Hand, wie er es sonst wohl auch draußen bei Wind tat.
    – Wir benutzen ein Schleppnetz. Wissen Sie, was das bedeutet?
    Maione zuckte mit den Schultern.
    – Dann erklär' ich's Ihnen. Also, das Schleppnetz hat zwei Enden: Eins davon wird ins Meer abgelassen und an einem Anker befestigt, der das Netz festhält; das andere Ende bleibt auf dem Boot, das einen Kreis beschreibt und es mitschleppt. Man braucht zwei Mann pro Seite. Eigentlich bräuchte man noch jemanden, der die bunten Stoffstücke auf den Tauen kontrolliert, um sicher zu sein, dass man der Reihe nach vorgeht und das Netz sich nicht verheddert. Wir kommen ohne diese fünfte Person aus, denn durch fünf zu teilen wäre unmöglich, und einer von uns, meistens Aristide, kontrolliert auch noch die Taue, während er ein Ende festhält.
    Maione fragte:
    – Das heißt also?
    – Das heißt, dass es schon zu viert schwierig genug ist, zu dritt wäre es unmöglich.
    – Hätten Sie ihn nicht ersetzen können? Ich sag' nicht, dass Sie's getan haben, verstehen Sie mich richtig.
    Der Junge kicherte und sagte:
    – Wie denn? Die Plackerei tut sich niemand freiwillig an. Und alle haben mit dem eigenen Boot zu tun.
    Auch bei dem anderen Mann, der damit beschäftigt war, sich im Wirtshaus des Viertels zu betrinken, hatte der Brigadiere nicht mehr Glück. Das vierte Besatzungsmitglied, der hagere, dunkle Kerl, antwortete ihm einsilbig und bestätigte, Boccia sei an besagtem Freitag mit im Boot gewesen »genau wie an jedem anderen gottverfluchten Tag«.
    Als Maione aufbrach, sagte er allerdings noch:
    – Brigadiere, Aristide ist wirklich in Ordnung. Und Garofalo war ein Bastard der übelsten Sorte. Hätt' er dasselbe mir angetan, hätt' ich ihm das Herz mit den Zähnen aus der Brust gerissen.
    Diese heftige Bemerkung aus dem Mund eines Mannes, dessen schwarzes Gesicht im Dunkeln kaum zu erkennen war, ließ den Polizisten schaudern. Daher erwiderte er:
    – Sie wissen, dass es die Justiz gibt. Niemand darf sie sich selbst zurechtbiegen.
    Der Mann nickte und sagte:
    – Die Justiz gibt's, das stimmt. Aber wenn man einem den Sohn wegnimmt, gibt's nur noch eins: die Selbstjustiz. So viel ist sicher.
    Er sprach von Boccia und seinem Sohn, aber Maione spürte, wie sich ihm der Magen zusammenzog.
    Der Gedanke an Vincenzino und das schreckliche Pfeifen, das aus seinem kleinen Bettchen kam, bewegte den Brigadiere dazu, noch bei den Boccias vorbeizuschauen, bevor er den Ort verließ.
    Vor der Tür, die auf den kleinen Platz hinausging, spielte Alfonso, der älteste Sohn, mit einem bekannten braungescheckten Hund. Drinnen beugte sich Doktor Modo in Hemdsärmeln über das Kinderbett.
    – Oh, mein lieber Brigadiere. Jetzt werden wir also schon zu Hausbesuchen bestellt? Ihr Freund gibt Order und ich muss springen.
    – Na ja, aber wenigstens geht's diesmal nicht darum, sich einen Toten anzuschauen, das müsste Sie doch freuen, oder?
    Modo strich sich mit der Hand die weißen Haare aus der Stirn, die ihm vor den Augen hingen.
    – Wir sind allerdings gefährlich nah dran, würd' ich sagen. Der Zustand des Kindes ist sehr ernst, ich denke, ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen. Der Kleine hatte hohes Fieber, zum Glück hat er eine starke Konstitution.
    Ein wenig abseits standen, eng beieinander und sichtlich entsetzt, beide Eltern. Das Gesicht der Mutter war bleich und sprach von schlaflosen Nächten, der Vater hatte seine Arbeitskleidung noch nicht abgelegt.
    Maione wollte ihnen Mut machen.
    – Machen Sie sich

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