Die Gärten des Mondes
... vielleicht hofft er, dass das Fieber sie umbringt und er es nicht selbst tun muss - andererseits könnte er viel verlieren, wenn sie stirbt, ehe er sie befragen kann. Kein Zweifel, er würde nach ihrer Seele suchen, würde dem, was sie weiß, bis ins Reich des Vermummten nachjagen, aber sie wüsste wahrscheinlich genug, um sich vor ihm verbergen zu können.«
»Halt mal einen Moment die Klappe«, befahl der Schnelle Ben. Noch mal zum Anfang. Du hast gesagt, Hauptmann Paran hat Giar mit seinem Schwert aufgeschlitzt?«
Locke blickte finster drein. »Das hat er getan. Mit einer normalen Waffe - das ist eigentlich ganz und gar unmöglich. Es könnte sogar sein, dass er dem Hund eine tödliche Wunde zugefügt hat.« Die Puppe machte eine Pause, dann knurrte sie: »Du hast mir nicht alles erzählt, Magier. In diese Sache sind auch die Götter verwickelt. Wenn du mich weiter so unwissend lässt, könnte es sein, dass ich aus Versehen einem von ihnen über den Weg laufe.« Locke spuckte aus. »Es ist schon schlimm genug, dein Sklave zu sein. Denkst du, du könntest einen Gott herausfordern, weil du mich an dich gebunden hast? Ich könnte gefangen genommen werden, umgedreht, vielleicht sogar ...«, Locke zog einen seiner kleinen Dolche »... gegen dich verwendet werden.« Er kam einen Schritt näher, ein dunkles Glitzern in den Augen.
Der Schnelle Ben hob eine Augenbraue. Mehr war ihm nicht anzumerken. Doch sein Herz schien einen Schlag auszusetzen. War das möglich? Hätte er dann nicht etwas spüren müssen? Den Hauch einer unsterblichen Präsenz?
»Noch etwas, Magier«, murmelte Locke, wobei er noch einen Schritt näher kam. »Flickenseels Fieber war vergangene Nacht ziemlich hoch. Sie hat etwas von einer Münze geschrien. Einer Münze, die sich gedreht hätte, jetzt aber gefallen, abgeprallt und jemandem in die Finger geraten wäre. Du musst mir mehr über diese Münze erzählen, Magier - ich muss deine Pläne kennen.« Die Puppe verstummte plötzlich und starrte den Dolch in ihrer Hand an. Locke zögerte; er schien verwirrt, dann steckte er den Dolch in die Scheide zurück und hockte sich hin: »Was kann an einer Münze schon so besonders sein?«, brummte er. »Nichts. Die Hexe hat fantasiert -sie ist stärker, als ich gedacht hätte.«
Der Schnelle Ben erstarrte. Die Puppe schien vergessen zu haben, dass er überhaupt da war. Was Locke da gerade von sich gab, waren seine eigenen Gedanken. Ben erkannte, dass er gleichsam durch ein zerschmettertes Fenster hindurch in das kranke Hirn der Puppe sah. Und dort wimmelte es vor möglichen Gefahren. Der Magier hielt den Atem an, als Locke weitersprach, den Blick auf die Wolken tief unter ihnen gerichtet.
»Giar hätte sie töten sollen - hätte sie auch getötet, wenn dieser Idiot von einem Hauptmann nicht gewesen wäre. Welch eine Ironie. Jetzt pflegt er sie und legt die Hand an den Schwertgriff, wann immer ich versuche, näher an sie heranzukommen. Er weiß, ich würde sie binnen eines Augenblicks auslöschen. Aber das Schwert... Welcher Gott spielt mit diesem adligen Narren?« Die Puppe sprach weiter, doch ihre Worte wurden zu einem unverständlichen Gemurmel.
Der Schnelle Ben wartete einen Augenblick. Er hoffte, dass noch mehr kommen würde, obwohl das, was er bisher gehört hatte, bereits ausreichte, sein Herz hämmern zu lassen. Diese verrückte Kreatur war völlig unberechenbar, und alles, was sie im Zaum hielt, waren die Fäden der Macht, die er an Lockes hölzernen Körper geknüpft hatte - eine dürftige Kontrolle. Doch mit dieser Art von Wahnsinn kam Stärke - genug Stärke, um jene Fäden zu zerreißen? Der Magier war sich längst nicht mehr so sicher wie am Anfang, ob er noch die Oberhand hatte.
Locke war verstummt. In seinen aufgemalten Augen flackerten noch immer schwarze Flammen - die Macht des Chaos, die aus ihm herausströmte. Der Schnelle Ben trat einen Schritt vorwärts.
»Verfolge Tayschrenns Pläne«, befahl er. Dann trat er fest zu. Seine Stiefelspitze traf Lockes Brust und ließ die Puppe davonwirbeln. Locke flog über die Kante des Sparrens und stürzte in die Tiefe. Sein empörtes Fauchen erstarb, als er zwischen den gelben Wolken verschwand.
Der Schnelle Ben holte tief Atem, obwohl die Luft hier dumpf und abgestanden war. Er hoffte, dass die Art, wie er ihr Treffen beendet hatte, dafür sorgen würde, dass Lockes Erinnerungen an die letzten Minuten nicht allzu deutlich waren. Dennoch, er fühlte, wie sich die Kontrollfäden mehr und mehr
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