Die Gärten des Mondes
mitsamt ihrem Reichtum erst einmal in unseren Händen ist, können wir diesem Kontinent das Rückgrat brechen.«
»Ich weiß, Mandata. Aber es ist womöglich noch schlimmer. Ich glaube außerdem, dass Elster und Flickenseel gemeinsame Sache machen.«
»Wisst Ihr irgendetwas darüber, was Hauptmann Paran zugestoßen ist?«
»Nein, nichts. Jemand versteckt ihn - oder seine Leiche. Ich neige zu der Annahme, dass er tot ist, Mandata, aber seine Seele hat das Tor des Vermummten noch nicht passiert. Nur ein Magier könnte so etwas bewerkstelligen.«
»Flickenseel?«
Der Hohemagier zuckte die Schultern. »Möglicherweise. Ich würde gerne mehr über die Rolle des Hauptmanns in dieser Geschichte wissen.«
Lorn zögerte nur kurz. »Er war auf einer langen, mühsamen Suche.«
Tayschrenn gab ein Brummen von sich. »Vielleicht hat er gefunden, was auch immer er gesucht hat.«
Lorn beäugte ihn. »Vielleicht. Sagt mir, wie gut ist Flickenseel?«
»Gut genug, um eine Hohemagierin zu sein«, erwiderte Tayschrenn. »Gut genug, um den Angriff eines Schattenhundes zu überleben und die Bestie zu vertreiben, obwohl ich so etwas nie für möglich gehalten hätte. Selbst ich hätte Probleme, das zu schaffen.«
»Vielleicht hatte sie Hilfe«, murmelte Lorn.
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
»Dann denkt jetzt darüber nach«, sagte Lorn. »Aber bevor Ihr das tut, noch eines: die Imperatrix will, dass Ihr Eure Anstrengungen fortsetzt, aber nicht gegen Dujek. Ihr werdet hier gebraucht - für den Fall, dass meine Mission in Darujhistan fehlschlägt. Mischt Euch nicht in die Verwaltung von Fahl ein, Darüber hinaus sollt Ihr Dujek alle Einzelheiten mitteilen, die das Erscheinen Oponns betreffen. Er hat ein Recht darauf, darüber Bescheid zu wissen, wenn ein Gott das Schlachtfeld betreten hat, und entsprechend zu planen.«
»Wie kann man irgendetwas planen, wenn Oponn in diesem Spiel mitmischt?«
»Das solltet Ihr Dujek überlassen.« Sie musterte ihn. »Habt Ihr mit diesen Instruktionen irgendwelche Schwierigkeiten?«
Tayschrenn lächelte. »Um die Wahrheit zu sagen, Mandata, ich bin in höchstem Maße erleichtert.«
Lorn nickte. »Gut. Jetzt brauche ich einen Heiler und ein Quartier.«
»Natürlich.« Tayschrenn ging zur Tür, doch plötzlich blieb er stehen und drehte sich um. »Mandata, ich bin froh, dass Ihr hier seid.«
»Ich danke Euch, Hohemagier.« Nachdem er gegangen war, ließ Lorn sich auf ihren Stuhl sinken. Ihr Geist wanderte neun Jahre in die Vergangenheit zurück, zu Geschehnissen, die ein Kind gesehen und gehört hatte, zu einer Nacht, einer ganz bestimmten Nacht im Mausviertel, in der jeder Albtraum, den die Vorstellungskraft eines jungen Mädchens hervorbringen konnte, Wirklichkeit geworden war. Sie erinnerte sich an Blut - Blut, das überall zu sein schien - und an die leeren Gesichter ihrer Mutter, ihres Vaters und ihres älteren Bruders. Gesichter von Menschen, die wie betäubt waren von der Erkenntnis, dass sie verschont worden waren, dass das Blut nicht ihr eigenes war. Während die Erinnerungen noch einmal durch ihren Verstand schlichen, ritt ein Name auf einer Windböe, rauschte in der Luft, als rüttele er an abgestorbenen Zweigen. Lorns Lippen teilten sich, und sie flüsterte: »Flickenseel.«
Die Zauberin hatte die Kraft gefunden, ihr Bett zu verlassen. Jetzt stand sie am Fenster, eine Hand Halt suchend an den Rahmen gelegt, und schaute hinunter auf die Straße, auf der es von Fuhrwerken der Armee nur so wimmelte. Dort unten war die systematische Plünderung, die die Quartiermeister »Auffüllen der Vorräte« nannten, in vollem Gange. Die Zwangsräumung der Familienbesitzungen des hohen und niederen Adels, um Platz für das Offizierskorps, zu dem auch sie selbst gehörte, zu schaffen, war schon vor Tagen beendet gewesen; die Instandsetzungsarbeiten an der äußeren Mauer, Reparatur zerschmetterter Tore und die Beseitigung der Reste des »Mondregens« dauerten hingegen noch an.
Sie war froh darüber, dass sie den Leichenstrom verpasst hatte, der die Straßen im Anfangsstadium der Aufräumarbeiten verstopft haben musste. Wagen auf Wagen, die unter dem Gewicht zerschmetterter Körper ächzten, weißes Fleisch, vom Feuer geschwärzt, von Schwertern zerfetzt, von Ratten angefressen und von Krähen angepickt - Männer, Frauen und Kinder. Es war eine Szene, die sie schon früher gesehen hatte, und sie hatte nicht den Wunsch, jemals wieder etwas Derartiges zu erleben.
Jetzt hatte das
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