Die Gärten des Mondes
wirbelte zu Paran herum. »Wir bekommen Besuch«, sagte sie.
Er stand auf, Zufall in den Händen.
Die Zauberin gestikulierte mit einer Hand. »Ihr seid nicht länger sichtbar, Hauptmann. Noch kann irgendjemand Eure Anwesenheit spüren. Verhaltet Euch still und wartet hier.« Sie ging ins vordere Zimmer, und im gleichen Augenblick erklang ein leises Klopfen an der Außentür.
Sie öffnete und sah sich einem jungen Soldaten gegenüber. »Was gibt es?«, wollte sie wissen.
Der Soldat verbeugte sich. »Hohefaust Dujek erkundigt sich nach Eurem Gesundheitszustand, Zauberin.«
»Das ist sehr freundlich von ihm«, sagte sie. »Es geht mir schon viel besser. Wenn du jetzt -«
Der Soldat unterbrach sie zaghaft. »Im Falle, dass Ihr so antworten würdet, wie Ihr es gerade getan habt, soll ich Euch die Bitte der Hohefaust übermitteln, heute Abend an einem offiziellen Essen im Hauptgebäude teilzunehmen.«
Flickenseel fluchte innerlich. Hätte sie bloß nicht die Wahrheit gesagt. Jetzt war es zu spät. Eine solche »Bitte« konnte sie ihrem Kommandeur unmöglich abschlagen. »Teilt Hohefaust Dujek mit, dass ich mich geehrt fühle, in seiner Gesellschaft zu Abend zu essen.« Ihr kam ein Gedanke. »Darf ich fragen, wer noch anwesend sein wird?«
»Hohemagier Tayschrenn, ein Bote namens Toc der Jüngere und Mandata Lorn.«
» Mandata Lorn ist hier?«
»Sie ist heute Morgen angekommen, Zauberin.«
Oh, beim Atem des Vermummten. »Überbring der Hohefaust meine Antwort«, sagte Flickenseel und versuchte, die in ihr aufsteigende Furcht zu unterdrücken. Sie schloss die Tür und hörte, wie der Soldat mit schweren Schritten den Korridor entlangpolterte.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Paran vom Durchgang zum Hinterzimmer her.
Sie sah ihn an. »Steckt das Schwert weg, Hauptmann.« Sie ging zur Anrichte hinüber und begann, in den Schubladen zu wühlen. » Ich soll an einem Abendessen teilnehmen«, sagte sie.
Paran kam näher. »An einer offiziellen Versammlung?«
Flickenseel nickte beunruhigt. »Und als ob Tayschrenns Anwesenheit nicht schon schlimm genug wäre, nimmt auch noch Mandata Lorn daran teil.«
»Dann ist sie also endlich angekommen«, murmelte der Hauptmann.
Flickenseel erstarrte. Sie drehte sich langsam zu ihm um. »Ihr habt sie erwartet, stimmt's?«
Paran zuckte zusammen und sah sie erschrocken an.
Sie begriff, dass sein Gemurmel nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war. »Verdammt«, zischte sie, »Ihr arbeitet für sie!«
Der Hauptmann drehte sich um, was als Antwort genügte. Sie sah ihm nach, wie er im Schlafzimmer verschwand. Sie tobte innerlich vor Zorn. In ihrem Kopf wimmelte es von Bildern der unterschiedlichsten Verschwörungen. Also war der Verdacht des Schnellen Ben berechtigt gewesen: Es gab einen Plan, den Trupp auszulöschen. War auch ihr Leben in Gefahr? Sie spürte, dass sie sich einer Entscheidung näherte. Was für eine Entscheidung das sein würde, dessen war sie sich nicht sicher, doch sie kannte jetzt immerhin die Richtung, in der sie weiterdenken musste. Und diese Entscheidung hatte die unaufhaltsame Kraft einer Lawine.
Als Toc der Jüngere das imperiale Hauptquartier betrat, ertönte von einem fernen Turm gerade der siebente Glockenschlag.
Er zeigte seine Einladung einem grimmig dreinblickenden, angespannten Wächter, und widerwillig wurde ihm gestattet, zum Speisesaal weiterzugehen. Toc hatte ein unbehagliches Gefühl im Bauch. Er wusste, dass die Mandata für die Einladung verantwortlich war, doch sie konnte genauso unberechenbar sein wie die anderen. Hinter den Türen, denen er sich jetzt näherte, mochte sehr wohl eine Grube voller Schlangen lauern, die hungrig seiner harrten.
Toc überlegte, ob er wohl in der Lage sein würde, irgendetwas hinunterzubringen; doch dann dachte er daran, wie seine Gesichtswunde aussah, und er fragte sich, ob jemand von den anderen in der Lage sein würde, irgendetwas hinunterzubringen. Seine Kameraden nahmen wenig Notiz von seiner Verwundung; schließlich gab es kaum einen Soldaten in Dujeks Armee, der nicht eine oder mehr Narben trug. Die wenigen Freunde, die er besaß, schienen einfach nur dankbar dafür zu sein, dass er noch lebte.
Im Reich der Sieben Städte hielt sich der Aberglaube, dass der Verlust eines Auges zugleich die Geburt des Zweiten Gesichts bedeutete. Er war in den letzten paar Wochen bestimmt ein Dutzend Mal an diesen Glauben erinnert worden. Ihm war allerdings kein geheimes Geschenk im Austausch für sein Auge gewährt
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