Die galante Entführung
leidlich!«
»Oh, meine liebe Miss Wendover, wie können Sie das sagen?« rief Miss Butterbank aus und warf die Hände hoch. »Einen solchen Unsinn habe ich wahrhaftig noch nie gehört! Aber Sie sind ja immer so bescheiden! Ich muß Mr. Calverleigh bitten, einfach nicht auf Sie zu hören!«
Da er soeben Mrs. Leavening fragte, ob sie heute morgen in ihrer Suche nach einer Wohnung weitergekommen sei, fiel es ihm nicht schwer, dieser Bitte nachzukommen. Schwierig für ihn war nur, wie er sich einer Erörterung aller Vor- und Nachteile der verschiedenen von Mrs. Leavening inspizierten Wohnungen entziehen sollte. Nachdem er Selina zugestimmt hatte, daß die Axford Buildings in einem gräßlichen Stadtteil lagen, und Mrs. Leavening, daß die Gay Street viel zu steil für ältere Personen sei, lachte er und enthüllte mit entwaffnender Aufrichtigkeit, daß er beide Lokalitäten nicht kannte. »Aber ich glaube, die Leute sprechen gut von den Marlborough Buildings«, sagte er. »Falls Sie nicht vielleicht den Frieden und die Ruhe von Belmont vorziehen?«
»Belmont?« fragte Selina ungläubig. »Aber das ginge nie im Leben! Man steigt den ganzen Weg bergauf. Das kann nicht ihr Ernst sein!«
»Natürlich meint er das nicht im Ernst, meine Liebe«, sagte Mrs. Leavening kichernd. »Er hat nicht die geringste Ahnung, wo das ist. Stimmt’s, Sir?«
»Nicht die leiseste! Ich werde es mir aber angelegen sein lassen, es herauszufinden, und werde es Ihnen heute abend erzählen, Ma’am«, versprach er.
Dann verneigte er sich leicht und ging. Selina, die Anstoß an der Andeutung nahm, es könne einen Teil von Bath geben, den sie nicht wirklich kannte, rief aus: »Also ich muß schon sagen, ich halte ihn für ein sehr seltsames Geschöpf! Man hätte annehmen können – nicht daß ich ihn eigentlich gut kenne, und man sollte niemanden nach einem einzigen Morgenbesuch beurteilen, selbst in seinem Reitdreß, was mir nicht gefallen kann – obwohl Abby mir versichert, daß er nicht darin mit uns dinieren wird –, aber seine Manieren sind sehr seltsam und abrupt!«
»Oh, er ist sicherlich ein Original, aber so drollig!« sagte Mrs. Leavening. »Weißt du, wir haben ihn sehr gern und finden nichts an seinen Manieren, das uns nicht genehm wäre.«
»Genau das, was ich der lieben Miss Wendover sagte!« warf Miss Butterbank ein. »Niemand, den Miss Abby billigt, kann etwas anderes als ein Herr sein!«
»Ja, aber es ist überhaupt nicht das richtige, daß sie in seiner Gesellschaft zu dem Stück geht. Zumindest entspricht es nicht meinem Sinn für Anstand, obwohl meine Vorstellungen zweifellos veraltet sind, und natürlich ist Abby nicht gerade mehr ein junges Mädchen, aber so zu reden, als sei sie schon sitzengeblieben, ist ein großer Unsinn!«
Dem stimmte Mrs. Leavening zu, da jedoch ihr Gatte eben in diesem Augenblick herbeikam, erzählte Selina ihrer alten Freundin nicht, daß Abby, nicht damit zufrieden, Mr. Calverleigh ins Theater zu begleiten, ihn doch tatsächlich zum Diner am Sydney Place eingeladen hatte.
Dieser kühne Handstreich hatte Selina umgeworfen. Die Nachricht, Mr. Calverleigh sei so freundlich gewesen, Abby zu dem Stück einzuladen, hatte sie noch ziemlich gelassen, wenn auch leicht überrascht aufgenommen. Es schien sehr seltsam, daß ein unverheirateter Herr eine Gesellschaft zusammenzubringen vermochte, aber zweifellos wünschte er sich für die Gastfreundschaft von Damen wie Mrs. Grayshott und Lady Weaversham zu revanchieren. Würden auch die Ancrums mitgehen?
Einen verrückten Augenblick lang war Abby versucht, eine unverbindliche Antwort zu geben. Sie beherrschte jedoch den Impuls und antwortete leichthin: »Oh, es ist keine Gesellschaft! Glaubst du, ich hätte die Einladung nicht annehmen sollen? Ich habe gezögert, aber in meinem Alter ist es doch sicherlich nicht ungehörig? Außerdem handelt es sich bei dem Stück um ›The Venetian Outlaw‹, das ich besonders gern sehen möchte! Wie du weißt, habe ich es aus irgendeinem Grund nie gesehen; einmal war ich krank, als es hier aufgeführt wurde, und einmal war ich verreist; aber du hast es schon zweimal gesehen, nicht? Und warst begeistert.«
»Ja, aber nicht mit einem Herrn!« sagte Selina empört. »Einmal ging ich mit der lieben Mama, nur warst du damals zu jung; und das zweite Mal lud mich Lady Trevisian ein – oder war es das dritte Mal? Ja, denn das zweite Mal war es, als George und Mary bei uns waren, und du hattest eine eitrige Halsentzündung
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