Die Galerie der Lügen
durchstellen. Wenn Sie eine Beschwerde haben, sagen Sie es mir. Ich nehme sie auf und kümmere mich darum.«
»Dann richten Sie bitte Ms Winter aus, einer der vier Köpfe des Zwitterphantoms erwarte ihren Rückruf.«
»Gefällt Ihnen die Überschrift nicht?«
»Der ganze Artikel verstößt gegen grundlegende journalistische Prinzipien. Er ist in höchstem Maße spekulativ, und er verletzt die journalistische Ethik sowie die Persönlichkeitsrechte der erwähnten Personen.«
»Das sind schwere Vorwürfe. Ich würde Sie ja gerne zu Mr Corley durchstellen, der das Material für den Beitrag von Ms Winter aufbereitet hat, aber er ist im Moment nicht greifbar.«
»Der Artikel stammt gar nicht aus Susan Winters Feder?«
»Nein. Sie hat gestern das Material in der Redaktion abgeliefert und ist sofort wieder aufgebrochen, um sich mit einem Informanten zu treffen. Seitdem haben wir sie nicht mehr gesehen.«
Alex atmete tief durch. Möglicherweise hatte sie ihrer Freundin Unrecht getan und der reißerische Ton des Pamphlets war ausschließlich auf dem Mist dieses Corley gewachsen. »Vielleicht ist es besser, wenn ich Ms Winter zu Hause anrufe.«
In der Leitung herrschte einen Moment Stille, ehe Billings fragte: »Wie war noch Ihr Name? Ich habe ihn vorhin nicht richtig verstanden.«
»Daniels.«
»Alex Daniels?«
»Ja.«
»Derselbe… Ich wollte sagen, dieselbe… äh… Person, die in dem…?«
»Sagen Sie doch einfach, derselbe Hermaphrodit.«
»Sie waren mit Ms Winter befreundet, nicht wahr?«
Waren? Alex spürte einen kalten Schauer. Ihre vom Argwohn gedehnte Antwort klang mehr nach einer Frage. »Ja?«
»Ich muss Ihnen eine bedauerliche Mitteilung machen. Susan Winter ist heute früh in der U-Bahn-Station Canary Wharf verunglückt. Wir nehmen jedenfalls an, dass es ein Unfall war. Einige Zeugen sagten, sie sei regelrecht vor den Zug gesprungen.«
Alex fühlte sich, als wäre sie im Eis eingebrochen und käme nun nicht mehr an die Oberfläche zurück. Ihr Kiefer und ihre Zunge wollten ihr kaum gehorchen, als sie stammelte: »Ist sie… Ist Susan… t-tot? «
Eine lange Pause entstand. Alex war sich nicht sicher, ob sie aus dem Hörer ein ersticktes Schluchzen vernahm. Dann endlich kam, seltsam tonlos, die Antwort.
»Ja. Susan Winter ist noch auf den Gleisen verstorben. Es tut mir so Leid. Lassen Sie uns ein andermal weiterreden. Ich… kann nicht…«
Es klickte in der Leitung. Emma Billings hatte aufgelegt.
Alex behielt den Hörer in der Hand. Aus der Ohrmuschel klang ein monotones Summen. Sie konnte nicht fassen, was sie eben gehört hatte. Susan Winter war nicht die Frau, die sich vor einen Zug warf, daran gab es für Alex nicht die geringsten Zweifel. Aber wenn sie mit ihrer Einschätzung Recht hatte, dann ergab der Ort des angeblichen Unfalls keinen Sinn. Die Adresse des Daily Mirror lautete One Canada Square. Die Zeitung residierte also am Canary Wharf, jenem Kai, wo Susan aussteigen musste, wenn sie am Morgen in die Redaktion ging. Wer einen im Bahnhof stehenden Waggon verlässt, der kann nicht auf die Gleise geraten.
Es sei denn, jemand habe ihn dazu gebracht.
Alex schüttelte den Kopf, um ihre wirren Gedanken in Reih und Glied zu bringen. Benommen legte sie den Hörer auf die Gabel. Alles erschien ihr so unwirklich. Jemand versetzt das Opfer in einen willenlosen Zustand, hält es an der Bahnsteigkante fest, bis der Zug in die Station einfährt, und stößt es auf die Gleise – das klang nach Hollywood, aber nicht nach dem wirklichen Leben.
Das Telefon schellte.
Alex erlitt fast einen Herzschlag vor Schreck. Mit großen Augen starrte sie auf den Apparat.
Es klingelte zum zweiten Mal.
Ob sie im Ashby-Haus noch sicher war? Beim Anruf in der Redaktion des Mirror hatte sie vermutlich Lucys Nummer preisgegeben…
Das Telefon läutete abermals.
Alex war der Panik nahe. Was hatte sie mit Lucy verabredet? Dasselbe Zeichen wie bei Susan: dreimal klingeln, auflegen, neu wählen.
Eine Pause entstand.
Der Anrufer kannte das Zeichen!
Einen wahnwitzigen Moment lang hoffte sie, Susan könne am anderen Ende der Leitung sein. Sie musste beim nächsten Klingeln nur abnehmen, und ihre Freundin würde wieder lebendig sein.
Es schellte erneut.
Alex riss den Hörer von der Gabel. Sie versuchte, ihre Stimme tiefer klingen zu lassen.
»Hallo?«
Kurzes Zögern. »Ms Daniels?«
Darwin! Als Alex die Stimme von Lucys Bruder erkannte, fiel ihr ein Stein vom Herzen. »Ja, ich bin’s, Mr Shaw!«
Wiederum kam
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