Die Galerie der Lügen
hieß Aspinall. Er war ein dürrer Enddreißiger mit braunem Haar, Habichtsnase und einem offensichtlich lückenhaften Wissen über die jüngste Leidensgeschichte der zu befragenden Person. Dessen ungeachtet verriet sein Auftreten und sein distanzierter Tonfall, wie viel er von sich hielt. Als er Alex zu ihrem Alibi befragte, geriet sie in Panik.
»Werfen Sie mir jetzt auch noch vor, meine beste Freundin umgebracht zu haben?«, brauste sie auf.
Longfellow sprach beruhigend auf sie ein. Solche Fragen gehörten zur Routine. Lucy Ashbys Aussage werde mit Sicherheit alles klären. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Museumseinbrüchen und Susans Tod könne er übrigens derzeit nicht erkennen, aber man ermittle auch in dieser Richtung.
»Und was wollen Sie damit andeuten?«, fragte Alex.
Longfellow sah sie durchdringend an. »Es könnte zumindest eine indirekte Verbindung bestehen zwischen Ihnen und den Dieben oder Terroristen oder… Na, Sie wissen schon.«
»Sie sprechen auf den letzten Artikel an, den Susan vor ihrem Tod geschrieben hat.«
»So ist es. Er enthält ein paar streng vertrauliche Informationen der Polizei.«
»Dann stimmt also, was im Mirror über die Gleichheit der drei genetischen Fingerabdrücke steht?«
»Ja. Um die Fehler der daktyloskopischen Abgleiche nicht zu wiederholen, hat man die DNA nach zusätzlichen Übereinstimmungsmerkmalen abgesucht und dabei minimale Unterschiede festgestellt.«
In Susans Artikel stand, die genetischen Fingerabdrücke seien »praktisch identisch« gewesen. Jetzt war Alex diese Einschränkung klar. »Solche Abweichungen könnten mit Mutationen zusammenhängen, die das Erbmaterial nach der Aufspaltung der Eizellen geschädigt haben.«
»Wie ich sehe, kennen Sie sich in der Thematik aus. Unsere Experten sind derselben Ansicht. Haben Sie eine Ahnung, wie Ihre Freundin an die Laborergebnisse gekommen sein könnte?«
Alex musterte Inspektor Hakennase. »Susan erwähnte etwas von einem Informanten beim Yard.«
»Nannte sie Namen?«
»Nein.«
»Schade.«
»Dieser Verdächtige aus Oslo…«
»Bo Johansen?«
»Ja. In dem Artikel steht, er könnte ebenfalls mit mir verwandt sein. Haben Sie dazu schon eine Theorie, Superintendent Longfellow?«
Der Scotland-Yard-Inspektor antwortete an Stelle seines Kollegen. »Möglicherweise haben wir es mit einem Missbrauch von weiblichen Gameten zu tun. Das sind…«
»… Eizellen, ich weiß«, kürzte Alex die Erklärung ab. »Wie können Sie von Missbrauch reden? Der Human Fertilisation and Embryology Act wurde 1990 verabschiedet. Ich bin aber 1982 zur Welt gekommen. Auf meine monozygoten… Verzeihung, einengen Geschwister muss das dann ja auch zutreffen.«
»Nicht wenn die Kryokonservierung ins Spiel kommt. Dabei werden…«
»… die Embryonen in flüssigem Stickstoff konserviert«, fiel Alex dem Inspektor abermals ins Wort. Seine besserwisserische Art ging ihr gehörig auf die Nerven.
»Wie auch immer«, erklärte Aspinall kühl, »wenn die befruchteten Eizellen über mehrere Jahre eingefroren waren, könnte es zu strafbaren Handlungen gekommen sein, nachdem die Gesetzeslage eindeutig geklärt worden ist.«
»Terri Lovecraft war in meinem Alter.«
»Lassen Sie uns nicht über Dinge diskutieren, die nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fallen. Ich nehme an, jemand von der HFE Authority wird sich zu gegebener Zeit mit Ihnen in Verbindung setzen.«
»Am besten, Sie schlagen meine neue Adresse überall in der Stadt an. Das erleichtert dem Attentäter die Arbeit ungemein.«
Longfellow schien die gespannte Atmosphäre zwischen seinem Kollegen und der Zeugin zu spüren. Zumindest befleißigte er sich eines Lächelns und erklärte beschwichtigend: »Jeder Kontakt zu Ihnen läuft über mich, und ich werde Ihren derzeitigen Aufenthaltsort nicht jedem X-beliebigen mitteilen. Im Übrigen wollte Inspektor Aspinall Ihnen nur erklären, inwiefern Sie Opfer eines Verbrechens geworden sein könnten, das mit den Museumseinbrüchen nichts zu tun.«
Damit bestätigte er nur Alex’ seit Tagen gehegten Verdacht. Sie hatte mit Hilfe von Lucys Internetanschluss ihr Wissen über Retortenbabys und die damit zusammenhängenden ethischen und gesetzlichen Aspekte auf den neuesten Stand gebracht. Indes kam ihr dabei kein einziges Mal die Idee, sich, allein wegen der Tatsache ihrer Existenz, als »Opfer« zu betrachten. In ruhigerem Ton sagte sie: »Wie kommt es, dass die Polizei in Oslo DNA-Material von einem Mann besitzt, den
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