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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Lupe zu nehmen. Vielleicht gibt es noch mehr Verblichene, die eine so frappierende Ähnlichkeit mit Alex Daniels hatten.«
    »Sind Sie noch bei Trost, Darwin? Das sind Tausende.«
    »Ist mir klar. Ich dachte auch eher daran, zunächst die Fingerabdrücke mit denen von Daniels und dem Louvre-Täter zu vergleichen, sofern welche vorliegen.«
    »Aber der Interpol-Computer hat nur die Namen von Daniels und Lovecraft ausgespuckt und das auch nur, nachdem wir die Anzahl der übereinstimmenden Minutien reduziert hatten – die Abdrücke von Paris waren ja unter aller Sau.«
    »Soweit ich weiß, steckt der Aufbau des europäischen Rechnerverbundes der Staatspolizeien noch in den Kinderschuhen. Interpol und Europol sind also wohl auch nicht der Stein der Weisen.«
    »Eher ein Stein des Anstoßes. Sie verlangen allen Ernstes, ich soll sämtliche Polizeibehörden in Europa fleißig machen? Von der Arbeit, die ich damit hätte, ganz abgesehen.«
    »Sie delegieren das, Kollege. Ich kenne Sie.«
    »Ja, das ist ja das Problem. Ich bin viel zu gutmütig.«
    »Sie spüren es doch auch, Mortimer. Hier stinkt etwas ganz gewaltig. Wenn Johansens genetischer Fingerabdruck ebenfalls mit dem von Alex Daniels übereinstimmt, dann hätten wir vier Geschwister. Haben Sie nicht auch schon daran gedacht, ob das › Gehirn ‹ die Nummer fünf sein könnte? Ein zorniger Hermaphrodit, der vielleicht mehr über seine Herkunft weiß als die anderen. Ein um sein Geschlecht betrogenes Wesen, das nur nach einem dürstet: nach Rache.«
     
     
    Als Darwin gegen Mitternacht das Haus in der Copperfield Street erreichte, lag es still und verlassen da. Er hatte im Laufe des Abends noch mehrmals versucht, Alex telefonisch zu erreichen, aber sie reagierte nicht, weder auf das vereinbarte Klingelzeichen noch auf sein Sturmläuten. Lucy nahm auch keine Anrufe auf dem Handy an, aber das war normal. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie nach Schließung der Pubs mit Freunden noch in irgendeinem Club weiterfeierte und sich von nichts und niemandem stören ließ.
    Unverrichteter Dinge fuhr er nach Hause.
    Am nächsten Morgen stand er um halb sieben bei Lucy auf der Matte. Seine Schwester sah aus wie eine Testperson in einem Schlafentzugsexperiment: die Haare noch wirrer als sonst, kleine Augen mit dunklen Ringen drum herum. Ihre Brille sei irgendwo im Haus verschollen, entschuldigte sie sich, weil sie ihren Bruder nicht sofort erkannt hatte.
    »Ist Alex inzwischen wieder da?«, fragte er.
    »Alex? War die denn weg?«, entgegnete Lucy gähnend.
    Er drängelte sich an ihr vorbei ins Haus, lief die Treppe zum Gästezimmer hinauf und meldete sich klopfenderweise an (kein zweites Mal wollte er ohne Vorwarnung zu Alex hereinplatzen).
    Aus dem Raum kam keine Reaktion.
    Nun hämmerte er.
    Wieder blieb alles still.
    Darwin holte tief Luft und öffnete die Tür.
    »Der Vogel ist ausgeflogen«, sagte Lucy, die hinter ihm stand und unter seiner Achsel hindurchblickte.
    Darwin betrat das Zimmer und suchte nach einem Brief, irgendeiner Notiz, fand aber nichts als die Kartons. Sie standen noch so nebeneinander, wie er sie verlassen hatte. Das Gruppenfoto mit den Anglern lag auf dem Bett. Er nahm es in die Hand und ließ seinen Blick über die Gesichter der Petrijünger wandern. Mit einem Mal stutzte er. Die Visage zwischen Norman Daniels und James Jordan kam ihm irgendwie bekannt vor. Sie war von dunklem Haar so gut wie zugewuchert. Der kleine Mann mit dem tonnenförmigen Brustkorb erinnerte fatal an einen Waldschrat. Am vergangenen Abend hatte das Konterfei des Militärarztes Darwins ganze Aufmerksamkeit gebannt, deshalb war ihm dieser Gnom nicht aufgefallen.
    »Ich borg mir das Foto mal aus«, erklärte Darwin aus dem Gefühl heraus, es nicht einfach mitnehmen zu dürfen.
    Lucy zuckte die Achseln.
    »Lass uns in der Küche nachsehen und im Wohnzimmer. Vielleicht hat sie uns dort eine Nachricht hinterlassen«, sagte er.
    Bald wussten sie, es gab keine.
    Lucys Mitbewohnerin war verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    Noch vor dem morgendlichen Briefing hatte Darwin bei Superintendent Longfellow angerufen und Alex als vermisst gemeldet. Normalerweise legte die Polizei solche Anzeigen, wenn der Betreffende erwachsen, zurechnungsfähig und erst wenige Stunden unauffindbar war, erst mal auf Eis, aber im Fall von Daniels reagierte sie sofort. Die NCS veranlasste eine landesweite Suchaktion.
    Als bitter empfand Darwin die Frage, mit der sich Longfellow von ihm

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