Die Galerie der Lügen
zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht. »Du hast die richtige Wahl getroffen, Schwester. Wir sollten alle so sein wie du.«
Sie deutete mit dem Daumen in Richtung Herkules. »Anscheinend bist du ja recht stolz auf deine männliche Hälfte.«
Theos Antlitz verwandelte sich jäh. Wo eben noch Befriedigung, ja, sogar Bewunderung zu sehen war, zogen plötzlich Verbitterung und Schmerz ein. Sogar seine Stimme veränderte sich. Sie klang mit einem Mal kalt und harsch wie überfrorener Schnee. »Ich bin eine Karikatur, ein Monster, eine Fleisch gewordene Ausgeburt menschlicher Intoleranz…«
»Hör auf! Das ist doch Unsinn«, fiel Alex ihm aufgebracht ins Wort. »Was immer mit dir passiert sein mag, es macht dich noch lange nicht zu einem Ungeheuer.«
»Pah! Du hast ja keine Ahnung. Hör mir gut zu, und dann fälle dein Urteil.«
Und so erzählte Theo seine Geschichte.
Die Forscher von HUGE wollten herausfinden, wie die geklonten Hermaphroditen mit verschiedenen Bedingungen zurechtkämen: Einige wurden durch chirurgische Eingriffe zu Mädchen gemacht, andere zu Jungen, und eine gewisse Gruppe sollte unverändert bleiben und sich später selbst entscheiden, welches Geschlecht sie annehmen wollte. Zu den Letzteren zähle offenbar auch sie, Alex, sagte Theo neidvoll. Ihm sei es dagegen wie Terri ergangen.
Seine Adoptiveltern wollten wohl nicht, dass man ihr Kind irgendwann hänselte, weil sich zwischen seinen Beinen mehr als nur ein Zipfelchen befand. Also säbelten die Chirurgen das kleine Ding ab. Fortan sei er ein Mädchen gewesen, knirschte Theo. Im Alter von vierzehn hatte ihn Julian, sein Adoptivvater, zu einer Hormonbehandlung gezwungen, um den Bartwuchs zu hemmen.
Dabei habe er, Theo, nie ein klares Empfinden für eines der beiden Geschlechter gehabt, sinnierte er; sein Blick ruhte auf dem Grund des Weinglases. Irgendwie fühlte er sich dazwischen angesiedelt, wie ein neues, ein drittes Geschlecht.
Emotionen hatten für die ihn behandelnden Mediziner jedoch keine Rolle gespielt. Sie waren Metzger, keine Psychologen. Ihre Übergriffe auf sein Selbstbestimmungsrecht wurden zunehmend schlimmer. Er bekam Albträume, wachte nachts schweißgebadet auf. Mit seinen Adoptiveltern konnte er darüber nicht reden. Die Ärzte hatten ihnen Schweigen verordnet. Das sei das Aberwitzige an der Intersexualität, meinte Theo kopfschüttelnd: Wenn ein Kind mit Down-Syndrom oder einer anderen Anomalie geboren werde, empfinden das viele Eltern als Herausforderung. Sie setzen ihre Liebe dagegen, zeigen dem Kind und der Welt, dass man trotz Behinderung ein erfülltes Leben führen kann. Aber wenn sich das Geschlecht nicht eindeutig zuordnen lässt, fehlt oft dieser kämpferische Ansatz. Stattdessen wird das Kind durch strikte Geheimhaltung und anhaltende Begutachtungen seiner Genitalien traumatisiert.
Erst viel später sei ihm bewusst geworden, dass er dadurch Opfer einer ganz speziellen Art des sexuellen Missbrauchs geworden sei, fügte Theo grimmig hinzu. Einer Form der Vergewaltigung, die sich auch noch unter dem Banner der Wissenschaft vollzog – und das, wie er herausfand, hundert-, ja, vielleicht sogar tausendfach überall auf der Welt.
»Ich kann auch ein paar Zitate auswendig«, sagte er voll Bitterkeit. »Kennst du Joachim Joesten?«
Sie nickte. »Ein deutscher Journalist, soviel ich weiß. Er ist vor den Nazis geflohen und irgendwann in den Staaten gelandet. Seine mutigen Artikel über die › Paperclip Boys ‹ , die deutschen Wissenschaftler, die nach Hitlers Fall in die USA umgesiedelt wurden, haben mir in mancher Hinsicht die Augen geöffnet.«
»Genau den meine ich. Als ihm die Doppelmoral dieser so genannten Operation › Overcast ‹ aufgefallen ist, schrieb er in der Wochenzeitung The Nation: › Wenn du den Kollektivmord liebst, aber deine Haut dir lieb ist, so werde Wissenschaftler, mein Sohn! Das ist zur Zeit die einzige Möglichkeit, ungestraft zu morden. Bist du als Politiker Kriegstreiber, dann hast du neuerdings kein sicheres Spiel mehr. Verlierst du, hängen sie dich auf. Wenn du General bist und besiegt wirst, erschießen sie dich. Als Industrieller kommst du ins Gefängnis. Nennst du dich aber Forscher, so wirst du, Sieger oder Besiegter, mit Ehren überhäuft .‹ « Theo schüttete zornig den Inhalt seines Glases in sich hinein und fügte bitter hinzu: »Jetzt weißt du, warum man uns seelisch und körperlich zu Krüppeln machen konnte und hoffte, dafür auch noch gefeiert zu werden.«
Alex glaubte
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