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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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prinzipbedingt für unauffindbar erklärt. Aber wie kam es zur Entstehung der großen Typen im Organismenreich, der Säuger, Vögel, Vierfüßer und und und? Die Erklärung dieser enormen Entwicklungssprünge in geologisch kürzester Zeit bleiben uns die zwei schuldig. Übrigens zitiere ich Eldredge gerne in meinen Arbeiten. Er schrieb: › Die Evolution kann nicht ewig irgendwo anders stattfinden. Doch das ist der Eindruck, den die fossile Dokumentation auf manch einen verzweifelten Paläontologen, der etwas über die Evolution lernen wollte, gemacht hat. ‹ «
    Cadwell musterte sein Gegenüber aus Augen, die nur mehr Schlitze waren. Nach kurzem Innehalten holte er tief Luft, lächelte und beschied: »Gleichwohl, die Evolution ist eine Tatsache. Irgendwo in den Jahrmillionen hat sie ihren Weg bis in unsere Tage gefunden, und sie wird noch am Werke sein, wenn unsere Spezies längst ausgestorben ist.«
    »Mit Verlaub, Dr. Cadwell, aber was Sie da eben gesagt haben, ist nichts anderes als ein Glaubenssatz.«
    »Ich werde mir von Ihnen bestimmt nicht vorschreiben lassen, was wissenschaftlich ist und was nicht. Sie können an die Evolutionsforschung nicht dieselben Maßstäbe ansetzen wie an Atomphysik. Es gibt Teilchenbeschleuniger, aber keine Evolutionsbeschleuniger. «
    »Wenn Sie sich da mal nicht irren. Artbildung kann durchaus explosionsartig vonstatten gehen.«
    Cadwell lächelte süffisant. »Ach, mit einem Mal?«
    »Kennen Sie den Malawi-See?«
    »Afrika gehört nicht zu meinen bevorzugten Urlaubszielen.«
    »Der Wasserspiegel in diesem See unterliegt starken Schwankungen«, erklärte Alex ruhig und ungeachtet aller Versuche, ihre Argumentation ins Lächerliche zu ziehen. »Man weiß, dass er zwischen 1390 und 1 860 unserer Zeitrechnung manchmal um über einhundertzwanzig Meter gefallen ist. Viele der heutigen Inseln waren damals eine zusammenhängende Landmasse. Die so genannte Mbuna-Fauna umfasst heute jedoch rund zweihundert Buntbarscharten, darunter die farbenprächtigsten Spezies, die man sich nur vorstellen kann. Hinzu kommt eine große Zahl von anderen Organismen, die nur in diesen engen Lebensräumen zu finden sind. Das Gewässer ist vielleicht ein Sonderfall, aber zumindest widerlegt es die Behauptung, die Evolution brauche unbedingt riesige Zeiträume, um sich zu entfalten. Innerhalb weniger hundert Jahre haben sich in Malawi weit größere morphologische Veränderungen vollzogen, als man es vor der Entdeckung dieses Lebensraumes für möglich gehalten hatte.«
    »Na bitte! Sogar eine Kreationistin gibt es also zu: Die Evolution funktioniert.«
    Am liebsten wäre Alex dem arroganten Bonvivant an die Gurgel gegangen und hätte ihm sein weinrotes Halstuch ein wenig fester gebunden. »Ich bin keine Kreationistin«, zischte sie. »Und ich sagte bereits, dass ich die Evolution nicht in Frage stelle. Allerdings nur die M ik ro evolution. Die Buntbarsche im Malawisee sind nicht aus Schlamm oder Ursuppe entstanden, sondern aus anderen Buntbarschen. Makroevolution ist ein Wunschgedanke der Darwinisten ohne empirische Grundlage. Die Grundtypen aller Lebewesen sind und bleiben stabil. Sie müssen schon bei den Fakten bleiben, Dr. Cadwell. Die Wahrheit ist keine Hure, die sich jedem an den Hals wirft, der sie begehrt. Nur wer redlich um sie wirbt, kann sie erobern.«
    »Sie sind ein sehr zorniger junger Mensch, Ms Daniels.«
    »Nur wenn es um etwas wirklich Bedeutendes geht«, entgegnete sie mit mühsam unterdrücktem Groll. Ihr war nicht entgangen, dass er sie nicht als Frau, sondern als Mensch angesprochen hatte.
    Darwin rieb nervös seine Handflächen gegeneinander. Bis zu diesem Moment hatte er sich in der Wagenburg seines Schweigens verschanzt, weil aber die beiden Disputanten sich taxierten, als wollten sie jeden Moment in die nächste Runde ihres Schlagabtauschs gehen, wagte er einen Ausfall.
    »Vielleicht sind wir ein wenig ins falsche Fahrwasser geraten. Wie wär’s, wenn wir wieder zu unserem Problem zurückkehren, zum nächsten Raub?«
    »Ein kluger Vorschlag«, sagte Cadwell und fügte, ohne den Blick von Alex zu wenden, die Frage hinzu: »Wo waren wir stehen geblieben?«
    »Bei der Pietà von Michelangelo«, antwortete Alex an Darwins statt.
    »Nein, beim David«, widersprach der.
    »Ich würde aber zunächst gerne wissen, warum Dr. Cadwell vorhin das Rilke-Gedicht zitiert hat. › Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang… ‹ Man könnte fast glauben, Doktor, Sie wollten dem

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