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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Luft fliegen. Wenn Sie nicht Ihre Pension verlieren wollen, dann nehmen Sie gefälligst Ihr Funkgerät und machen Ihrem Kommandanten Meldung.«
    Der Carabiniere wirkte eingeschüchtert. Er konnte höchstens Anfang zwanzig sein und war im Umgang mit derlei Krisensituationen offenbar wenig erfahren. Der Miene nach zutiefst unglücklich, erklärte er: »Sie haben mich nicht verstanden, Ms Daniels. Ich kann den Einsatzleiter nicht anfunken, weil unsere Walkie-Talkies nicht funktionieren.«
    Ihre Augen wurden groß. »O nein, dann ist es womöglich schon zu sp…«
    Plötzlich erschütterte eine gewaltige Detonation das Viertel. Fensterscheiben klirrten, und die Menschen fingen an zu schreien.

 
    Kapitel 22
     
     
     
    »Keine Gnade mehr mit denen, die nicht erforscht haben und doch reden.«
    Bertolt Brecht
     
     
    FLORENZ (ITALIEN),
    Sonntag, 21. Oktober, 22.00 Uhr
     
    Das Rumpeln aus dem Obergeschoss rief einen weiteren Schauer über Darwins Rücken. Er ahnte, was das Geräusch bedeutete. So jedenfalls würde es sich anhören, wenn schwere Körper zu Boden fielen. Rasch schaltete er seine Taschenlampe aus. »Hier ist Shaw. Kann mich irgendjemand hören?«, versuchte er es abermals mit dem Walkie-Talkie. Seine raunende Stimme verhallte ungehört im Äther. Aus dem Lautsprecher drang nur heftiges Rauschen und gelegentliches Pfeifen. Inzwischen zweifelte Darwin nicht mehr daran, dass ein Störsender den Funkverkehr behinderte. Er rechnete mit dem Schlimmsten.
    Wenn der oder die Gegner die Beleuchtung ausgeschaltet hatten, dann verfügten sie vermutlich über Nachtsichtgeräte. Bei der Spezialeinheit der Carabinieri waren Darwin derartige Sehhilfen nicht aufgefallen. Niemand hatte wohl ernsthaft damit gerechnet, dass jemand Kontrolle über die Elektrik des Hauses erlangen könnte.
    Er fragte sich, was das »Gehirn« noch ausgeheckt haben mochte, um unter den Polizisten Verwirrung zu stiften. Theo war gerissen. Was, wenn er vor dem Zusammenbruch der Kommunikationen einen Funkspruch abgesetzt hatte? Etwas in der Art wie: Immer schön cool bleiben, Leute, ich habe dem David gerade einen Sprengstoffgürtel umgeschnallt.
    Man würde sich die Erstürmung des Gebäudes gewiss zweimal überlegen. Das Überraschungsmoment war eindeutig auf Seite des »Gehirns«. Letztlich würde davon abhängen, wie viel Zeit ihm für die eigentliche Aktion blieb.
    Darwin fürchtete, dass sich diese Frist für ihn zu einer Ewigkeit dehnen konnte.
    Er legte das rauschende Funkgerät auf eine der schmalen, hochlehnigen Bänke, die sich wie das Chorgestühl einer Kirche an beiden Wänden der Galerie reihten, nur unterbrochen von den Schemen der »Gefangenen«. Durch die beiden Fenster fiel ein wenig Streulicht in den Korridor, gerade genug, um den Unterschied zwischen Blindheit und Nichterkennen zu erahnen. Den Blick unverwandt auf den Eingang gerichtet, die Beretta in der Rechten, die ausgeschaltete Halogenstablampe links haltend, zog er sich in Richtung David zurück. Als er sich zwischen dem ersten Säulenpaar befand, öffnete sich unvermittelt die Tür am Ende des Saales.
    Reflexhaft wich er nach links aus, um zwischen den Pilastern und Säulen Schutz zu suchen. Dabei kam er fast zu Fall, weil ausgerechnet an dieser Stelle die Papiere lagen, die aufzuheben er sich vorher geziert hatte. Schliddernd prallte er gegen die Wand hinter der Skulptur. Erst als er hinter dem Marmorblock der Pietà Palestrina hervorspähte, wurde ihm sein Fehler bewusst. Er hätte zur anderen Seite laufen sollen. Hier setzte er ein Kunstwerk von unschätzbarem Wert dem Risiko eines Besch u sses aus.
    Offenbar brannte im Eingangsbereich noch irgendeine schwache Lichtquelle – vielleicht eine zu Boden gefallene Taschenlampe –, jedenfalls konnte Darwin für einen kurzen Augenblick eine schemenhafte Gestalt ausmachen. Sie war groß. Der Silhouette nach zu urteilen, trug sie eine kugelsichere Weste, aber weder Helm noch Nachtsichtbrille. Darwin atmete auf. Das musste ein Carabiniere sein. Er trat einen halben Schritt aus der Deckung heraus und schaltete seine Lampe ein.
    Der vermeintliche Polizist trug eine Skimaske.
    In Sekundenbruchteilen löste Darwins Instinkt den Alarmzustand aus. Auf dem verkohlten Gesicht der Louvre-Leiche waren ebenfalls Textilreste gefunden worden. Vermutlich hatte Dona tien Demis, bevor eine Bombe ihn tötete, ein ähnlich vermummtes Gesicht gesehen. Darwin trat den Rückzug an.
    Ehe er wieder in Deckung war, hörte er ein trockenes Zischen.

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