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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zu wenig, um seine Motive eindeutig zu bestimmen. Tut mir Leid, Mr Shaw.«
    Darwin war ein Papiermensch. Nach seiner Ansicht teilte sich die arbeitende Bevölkerung in zwei Kategorien auf: solche, die alles am Computer erledigten, und die anderen, die sich der ständigen Gefahr ausgesetzt sahen, am Bildschirm etwas Wichtiges zu übersehen, und als vorbeugende Maßnahme lieber einen Baum opferten, indem sie Kartons voller Blätter mit ihren Daten und Texten bedruckten. Darwin gehörte nicht zu den Bildschirmtypen. Er liebte Papier.
    Als er aus der National Gallery ins Büro zurückgekehrt war, nahm er sich noch einmal die Akten zu den vier Museumseinbrüchen vor. Weil sein Schreibtisch zu überfüllt war, legte er die Checklisten, die jedem Versicherungsvertrag beilagen, auf dem Fußboden aus. Aus den Daten und Unterschriften konnte das Genehmigungsverfahren nachvollzogen werden. In der Rubrik »Sicherheitsüberprüfung«, tauchte jedes Mal derselbe Name auf: Julian Kendish.
    Darwin kannte keinen Mitarbeiter, der so hieß. Dem Titel nach war Kendish der Leiter der zuständigen Kontrollabteilung. Kurz darauf befand sich der Versicherungsdetektiv drei Stockwerke tiefer im Büro des amtierenden Sicherheitschefs Jeff Blackwater, eines übergewichtigen schottischen Terriers mit Bürstenhaarschnitt, abstehenden Ohren und schlechten Zähnen.
    »Kendish?«, antwortete Blackwater auf Darwins Frage. »Natürlich kenne ich Julian. Er hat mich nach London geholt und mich eingearbeitet, bevor er sich aufs Altenteil zurückzog.«
    »Was war er für ein Typ?«
    »Abgebrochener Zwerg mit Vollglatze. Aber bärenstark.«
    »Nein, ich meinte, wie würden Sie ihn charakterisieren?«
    »Immer pünktlich. Penibel in allem, was er tat. Ein Perfektionist. Die prominenten oder besonders hoch versicherten Objekte hat er sich immer persönlich vorgenommen.«
    »Inwiefern. War er Kunsthistoriker?«
    »Nein. Die Echtheitszertifikate hat er von den Experten erstellen lassen. Sein Ding war das ganze organisatorische und technische Drumherum. In Elektronik konnte ihm keiner unserer Spezialisten etwas vormachen. Er kannte die Stärken und Schwächen sämtlicher Sicherheitssysteme auf dem Markt. Wenn er seine Unterschrift in die Checkliste setzte, dann war das Objekt sicher.«
    »Bis vor gut drei Wochen mag das gestimmt haben.«
    »Ja, ist mir auch schon aufgefallen, dass alle vier Objekte unter Julians Ägide zertifiziert wurden.«
    »Und? Was sagen Sie dazu?«
    »Keine Ahnung, was Sie…« Blackwaters Augen wurden groß. »Sie glauben doch nicht…!«
    »Im Moment prüfe ich nur alle Möglichkeiten.« Darwin deutete mit dem Kopf in Richtung PC. »Können Sie im System abfragen, wie viele Verträge ausschließlich von Kendish bearbeitet wurden? «
    »Sicher. Allein mit der Checkliste kriegen Sie das nicht raus, aber wir haben in der Abteilung eine Projektverfolgung, in der jeder Arbeitsschritt protokolliert wird.«
    »Bitte checken Sie, ob Kendish die vier Fälle allein bearbeitet hat.«
    »Kein Problem.«
    Blackwater hämmerte einige Sekunden lang auf seine Tastatur ein. Dann blickte er gespannt auf den Monitor. Plötzlich pfiff er durch die Zähne.
    »Was ist?«, fragte Darwin.
    Der Sicherheitschef zeigte auf den Bildschirm. »Alle vier Objekte wurden von Julian und nur von Julian zertifiziert.«
    »Hm. Lässt sich mit dem System auch herausfinden, wie viele Versicherungsverträge er außerdem im Alleingang geprüft hat?«
    »Klar.«
    Wieder traktierten Blackwaters Finger die Tasten. Kurz darauf kam die Antwort.
    »Dreihundertzwölf.«
    »So viele!«
    »Julian war schon dabei, als ArtCare aus der Taufe gehoben wurde. Am Anfang hat er sämtliche Vorgänge allein bearbeitet.«
    »Wie hoch ist die Gesamtzahl der Verträge?«
    »Ungefähr eintausendfünfhundert.«
    »Also gehen zwanzig Prozent auf sein Konto.«
    »Korrekt.«
    »Wie lange ist Kendish schon im Ruhestand?«
    »Müssen jetzt so zwei Jahre sein.«
    »Haben Sie seine Adresse?«
    »Geb ich Ihnen.«
    »Und können Sie mir auch die Liste der von ihm betreuten Verträge ausdrucken?«
    »Schicke ich Ihnen per E-Mail zu.«
    Darwin lächelte gewinnend. »Gerne. Aber bitte seien Sie so nett und drucken Sie mir die Liste trotzdem aus. Ich bin ein Papiermensch.«
     
     
    Das Reihenhaus im Londoner Stadtteil Harrow war ein Backstein gewordenes Mittelstandsglück. Nicht unbedingt das, was man sich unter dem Domizil eines Millionendiebes vorstellte, befand Darwin. Er ließ sich jedoch von dem äußeren

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