Die Galerie der Lügen
Element in der Galerie der Lügen.«
»Ja, in dem Gemälde ist der Moment abgebildet, als der Mensch sich anmaßte, wie Gott zu sein.«
»Wie passt das mit dem weiblich gedeuteten Apfel zusammen? «
»Die Vorstellung, Eva hätte Adam mit einem Apfel verführt, geht auf Martin Luther zurück. Im Urtext der Genesis ist nur von einer Frucht die Rede. Aber Irrtümer sind robust. Als Traumsymbol warnt der Apfel vor einer Versuchung, vor der Verführung durch weltlich-materielle Dinge. Er steht aber auch für geistige Fruchtbarkeit.«
»Ziemlich vieldeutig.«
»So wie die Spuren des Lebens auf unserer Welt. Jede Weltanschauung legt sie auf ihre Weise aus.«
»Das sagten Sie bereits.«
Alex merkte, wie Shaw sie abzublocken versuchte. Wahrscheinlich mutete sie ihm zu viel zu. »Ihr Griffith ist ein toller Wagen, aber ich würde jetzt trotzdem gerne wieder nach Hause fahren.«
Der Detektiv sah sie verwundert an. »Habe ich irgendwas Falsches gesagt?«
»Nein.«
Shaw nahm die Ausfahrt Hertfordshire und wechselte auf die Gegenspur. Einige Minuten vergingen, ohne dass ein Wort gewechselt wurde. Alex war verwirrt. Sie konnte die Gefühle, die sie gegenüber diesem Mann hegte, nicht einordnen. Schließlich war sie es, die das Schweigen brach.
»Die Farbe Orange kann auch eine psychologische Bedeutung haben.«
Er blinzelte irritiert. »Was?«
»Der Apfel im Unachtsamen Schläfer ist orange.«
»Ja, und sein metallenes Pendant im Wiener Kunsthistorischen Museum ebenfalls, zumindest fast. Was schließen Sie daraus?«
»Ich bin mir nicht sicher. Orange steht für Aktivität und Tatendrang, für die Herausforderung, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen und etwas zu tun…« Alex’ Gedanken schweiften ab. Nach dem Tode ihrer Eltern hatte sie genau das versucht. Eine absurde Idee schwirrte durch ihren Kopf: Die Botschaft könnte an mich adressiert sein…
»… Ms Daniels?«
Shaws Stimme riss sie in die Wirklichkeit zurück. »Was?«
»Ich fragte, wie Sie das Traumsymbol als Ganzes interpretieren.«
»Ich würde sagen, der orangerote Apfel deutet auf ein Bild hin, das die Verführung der Menschheit – möglicherweise in Verbindung mit einer Frau – darstellt und zugleich das Streben nach uneingeschränkter Selbstbestimmung.«
»Wieso das?«
»Lukas Cranach hat den Sündenfall thematisiert. Wenn Sie die ersten Verse aus dem dritten Kapitel der Genesis lesen, werden Sie feststellen, dass es dabei nicht um Sex ging, wie von katholischer Seite gerne behauptet wird, sondern um das Streben nach Unabhängigkeit von Gott.«
»Womit wir wieder bei den Kreationisten wären.«
»Wenn Sie das so eng sehen wollen.«
»Wie meinen Sie das.«
»Als ich vor ein paar Jahren einen Artikel über den sechzigsten Geburtstag von Ian Wilmut las…«
»Wen? «
»Den Entwicklungsbiologen und Embryologen, dem die Welt das Klonschaf Dolly verdankte.«
»Ach, der! Er klont inzwischen Menschen, wie ich neulich gelesen habe. Was hat der mit dem Sündenfall zu tun?«
»Ich wollte eigentlich auf die Wortwahl meiner Journalistenkollegen hinweisen. Der Titel des Artikels lautete, wenn ich mich noch richtig erinnere: › Schöpfer von Kl on-Schaf Dolly wird 60 ‹ .«
»Sie stören sich an dem Wort › Schöpfer ‹ ?«
»Ich möchte Ihnen nur helfen, Ihre Fähigkeit zu Gedankenverbindungen zu sensibilisieren. Gesprochene oder geschriebene Worte sind kondensierte Gedanken. Wenn jemand Wilmut als › Schöpfer ‹ eines Schafs bezeichnete, dann assoziiert er damit einen göttlichen Akt, den es in Wirklichkeit nicht gab. Der Biologe hat nur bestehendes Erbmaterial in eine Eizelle geschaufelt und diese einem Mutterschaf eingepflanzt. Selbst dafür – das sei nur am Rande erwähnt – war aber eine gehörige Portion Intelligenz erforderlich. Wie viel mehr muss man solche von einem wirklich schöpferischen Akt erwarten!«
»Hab schon verstanden. Dann protestiert das › Gehirn ‹ also gegen Forscher, die sich als Götter aufspielen?«
»Ich würde es anders ausdrücken: Es will uns davor warnen, uns zu viel aufzubürden, nur weil wir glauben, die ganze Last unseres Seins und Werdens allein tragen zu müssen.«
»Sehr poetisch! Ich habe kürzlich von den neuen Gesetzesentwürfen gelesen, über die das Unterhaus am Ende des Monats entscheiden soll. Angeblich will man für Experimente mit dem menschlichen Erbgut weitgehende Freiheiten einräumen. Meinen Sie, das › Gehirn ‹ könnte seine Aktionen ganz bewusst auf die Wochen vor der
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