Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
»Ist das alles, woran du denken kannst? Und jetzt komm, du alter Narr. Wenn das hier die Schlafkammer des Königs ist, kann das genizah nicht weit sein. Beeil dich!«
Ari konnte sich kaum von der Untersuchung der Laken losreißen, stieß aber schließlich einen unwilligen Seufzer aus und setzte sich in Richtung Tür in Bewegung. Yosef schnappte seinen Arm und schob ihn nach draußen.
»Du bist ein alter Lüstling, ist dir das klar?« erklärte Yosef anklagend.
»Du hast nur keine Ahnung von wissenschaftlicher Spurensuche.«
Ohne auf den Einwand einzugehen, meinte Yosef: »Ich frage mich, warum ich mich überhaupt noch mit dir abgebe. Du bringst mich immer nur in Verlegenheit.«
Ari grinste leicht. »Du gibst dich jetzt schon seit mehr als dreihundert Jahren mit mir ab. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ändern.«
»Ja, und das gilt besonders für die schlechten. Gib mir die Lampe!« Er versuchte, sie Ari wegzunehmen, doch Funk wehrte sich. Schließlich zog Yosef mit aller Kraft und riß sie ihm aus den Fingern. Die Kerze flackerte heftig und wäre beinahe erloschen. »Komm jetzt«, befahl Yosef und stapfte den Gang entlang.
»Wohin gehen wir denn?«
»Du hast die Karte, also sag du es mir. Wird einer der Räume hier als Bibliothek bezeichnet?«
»Nein«, erwiderte Ari. »Aber vielleicht sollten wir sie trotzdem alle überprüfen, nur um sicherzugehen. Auf der Karte ist auch nicht alles eingetragen.«
Yosef blieb vor der ersten Tür auf der linken Seite stehen und öffnete sie. Ein leeres Zimmer gähnte ihn an. Vier weiße Wände und keinerlei Möbel. »Tja, das hier ist es wohl nicht.«
Ari ging an ihm vorbei und stieß die zweite Tür links auf. Ein leiser Aufschrei entrang sich seinen Lippen. »Oh, Yosef …«
»Was ist denn?« Yosef lief, so schnell ihn seine alten Beine trugen.
Ari trat einen Schritt beiseite. Sein zerknittertes Gesicht zeigte einen qualvollen Ausdruck. Yosef ging an ihm vorbei, wandte sich fast augenblicklich ab und ließ sich schwer gegen den Türrahmen sinken. Sein Magen revoltierte. Ein großer, grauer Bildschirm bedeckte zwei Drittel der gegenüberliegenden Wand. Davor lag die Leiche eines Mannes in einer längst getrockneten Blutlache. Er mußte schon seit Jahren tot sein. Die Haut seines Gesichts hatte sich zusammengezogen, so daß der Tote in einem gräßlichen Grinsen erstarrt schien. Und die Augen … die Augen waren ausgetrocknet, und auf den Augäpfeln hatten sich kleine, faltige Gruben gebildet. Lange blonde Strähnen hingen von der Kopfhaut herab und zeigten im Licht der Kerze noch immer einen Rest des ehemaligen Schimmers. Yosefs Blick wurde von der Brust des Mannes angezogen. Noch immer ragte dort der Griff eines Messers hervor, das zwischen den Rippen steckte. Dunkles Blut hatte die elfenbeinfarbene Robe verfärbt. Yosef starrte die Leiche voller Entsetzen an. Adom.
»Laß uns gehen, Yosef«, murmelte Ari leise. »Es gibt keinen Grund, noch hierzubleiben.«
»Warte«, flüsterte Yosef voller Trauer. Der Junge war so sanft, so unschuldig gewesen. Jedermann hatte Adom geliebt. Und genau das war ihm zum Verderben geworden. Ornias, der seinerzeit Hoher Rat auf Horeb gewesen war, hatte die Bewunderung der Massen für Tartarus ausgenutzt, um zu Macht und Reichtum zu gelangen. Er hatte eine Kampagne geführt mit dem Ziel, die Alten Gläubigen zu vernichten und Adoms Gott Milcom als den einzig wahren zu etablieren. Was allerdings nicht hieß, Ornias sei an religiösen Dingen interessiert gewesen. Ziel der ganzen Aktion war lediglich, Jeremiel Baruch nach Horeb zu locken, um die Belohnung von fünf Milliarden zu kassieren, die die Magistraten auf seine Ergreifung ausgesetzt hatten. Letzten Endes war der Plan jedoch fehlgeschlagen. Tahn hatte etwa zehn Prozent des Planeten abgefackelt, bevor Jeremiel den Angriff beenden konnte. Die durch die Attacke ausgelösten Feuerstürme hatten praktisch die gesamte Oberfläche Horebs vernichtet. Doch nichts davon konnte man Adom vorwerfen.
Yosef machte ein paar Schritte vorwärts, kniete nieder und machte das Zeichen des gamantischen Dreiecks über Adoms Herz. Dann betete er stumm: »Epagael, voll der Gnaden, der du herrschest in der Höhe, führe die Seele des Adom Kemar Tartarus, der von uns gegangen ist, um Ruhe zu finden auf den Flügeln des Shekhinah, hinauf zu den Seelen all jener, die so heilig und so rein sind wie das Firmament des Himmels. Möge seine Seele das ewige Leben verbringen bei den Seelen von Avram, Yeshwah
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