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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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Kopie machen.«
    Ich halte den Schnipsel an die Windschutzscheibe, um so viel wie möglich von der schwachen Funzel draußen zu profitieren.
    »Es ist zu dunkel … Ich kann nichts erkennen!«
    Philippe nickt missmutig.
    »Aber du wirst es doch finden, oder? … In deinem Archiv …?«
    »Da bin ich mir nicht so sicher. Kannst du dir vorstellen, wie viele Bilder ich damals gemacht habe? In zehn Jahren als Fotograf? Na, sag schon, was glaubst du?«
    »Keine Ahnung … Vielleicht dreitausend …«
    Ich wedle mit der Hand. Höher, Kumpel, nur nicht so schüchtern!
    »Fünftausend?«
    »Zehnmal so viel, Junge! Vor kurzem habe ich zufällig eine Rechnung für Filme gefunden. Ich habe etwa hundert Kleinbildfilme pro Monat verbraucht … Zu je sechsunddreißig Bildern … Also hundert mal sechsunddreißig, plus die Rollfilme, plus die Planfilme 9x12 cm. Das kannst du dir doch selbst ausrechnen … Mit dem kleinen Schnipsel da … Das wäre echt Glück!«
    Mateis wirkt niedergeschlagen. Er sieht mit seinen blauen Augen zu mir auf.
    »Aber ich bin ein ordentlicher Mensch«, lenke ich ein. »Ich habe alle Negative sorgfältig archiviert und aufbewahrt. Das größte Problem wird sein, die Zeit und das Motiv zu bestimmen. Fangen wir mal an. Schwarz-weiß. Papierabzug. Gut. Als Nächstes muss ich herausfinden, welches Objektiv ich verwendet habe …«
    Abwesend spielt Philippe mit dem Foto herum, das ich ihm zurückgegeben habe. Er ist schon nicht mehr bei mir … Im Geiste hat er diese triste Welt verlassen. Doch dann kommt er zurück und steckt das Foto wieder in die Plastikhülle.
    »Ich hatte gehofft, du könntest mir irgendeinen Hinweis geben«, sagt er matt. »Der Arzt hat gerade bestätigt, was ich mir schon gedacht hatte. Die Fingerkuppen der verbleibenden Hand sind abgetrennt worden, an manchen Stellen sogar der ganze Finger. Es wird schwer sein, sie zu identifizieren. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, war kein Anfänger. Und man hat sich Mühe gegeben.«
    Er schweigt einen Moment, kramt in seiner Tasche und zieht eine völlig zerknautschte Zigarette heraus. Er schiebt sie sich zwischen die Lippen und zündet sie an.
    »Sie haben einen kleinen Finger neben dem Poller gefunden«, erklärt er ratlos. »Diese Schweine haben die Fingerenden einfach ins Wasser geworfen. Den einen müssen sie übersehen haben …«
    »Und was ist mit den Zähnen?«, frage ich. »Kann man Leute nicht anhand ihrer Zähne identifizieren?«
    Mateis deutet ein müdes Lächeln an.
    »Es sind keine mehr da! Hast du ihren Kopf nicht gesehen? Sie haben ihr alle Zähne ausgeschlagen. Der Rechtsmediziner wird uns mehr sagen können, aber ich glaube kaum, dass da noch was kommt. Das waren Profis … Profis …«
    Zornig schlägt er auf das Armaturenbrett.
    »Als wäre Töten ein Beruf! Foltern, Zähne ausschlagen, Finger abschneiden, Leute an Kränen aufhängen … wie Schiffstakelage. Piraten, das sind sie, genau …«
    Ich kann nachfühlen, was meinen Freund zu seiner wütenden Schimpftirade treibt.
    »Und jetzt hoffst du, dass ich dir den Namen dieser armen Frau nennen kann …«
    Philippe drückt seinen Zigarettenstummel aus.
    »Sie hatte deine Adresse bei sich, ausgeschnitten aus einem deiner Fotos. Das muss doch einen Grund haben! Du hast sie nicht zufällig erkannt, oder? Das hättest du mir doch gesagt …«
    Meine Antwort fällt knapp aus. Ich mag es nicht, wenn Philippe den Bullen raushängen lässt. Vor allem nicht bei mir, schließlich habe ich ihn noch als Rocksänger und Kiffer gekannt.
    »Natürlich nicht … hast du gesehen, was von ihrem Gesicht übrig ist?«
    Mein Ton beeindruckt ihn keineswegs. Er ist viel zu sehr mit seinem Fall beschäftigt. Sein Getue geht mir auf die Nerven, das hat doch alles keinen Sinn.
    »Ich tue, was ich kann … Schick mir morgen das Zeug!«
    Er nickt.
    »Gleich morgen früh, Amigo mio. ›Morgen in der Frühe, wenn das Land sich schwach erhellt‹, lasse ich dir eine Kopie von dem Foto vorbeibringen und alles andere, was wir haben, gleich dazu. Man kann ja nie wissen …«
    Wir schweigen. Am Schauplatz des Verbrechens herrscht rege Betriebsamkeit. Zwei Taucher bereiten sich darauf vor, ins Wasser zu gehen. Es läuft mir eiskalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, was sie womöglich da unten finden.
    »Und du musst nicht hierbleiben?«, frage ich spöttisch. »Du lässt deine Jungs hier schuften und machst dich aus dem Staub? Also ich finde, das ist ein Skandal …«
    »Das ist das Vorrecht des

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