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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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Chefs … Und des Alters. Wenn du wüsstest, wie viele Überstunden ich runterreiße, wie viele Sandwiches ich am Tresen runterwürge … Ich Feinschmecker! Kein Wunder, dass ich immer fetter werde …«
    Selbstironisch klopft er sich auf die Wampe und fährt fort: »A propos, wo wir gerade beim Thema sind, habe ich nicht vorher etwas von Polenta gehört? Also wirklich! Da verspricht man mir neapolitanisches Essen … und wir wollen doch nicht vergessen, dass ich italienische Vorfahren habe, darunter einen alten Pfeifenträger beim Bey von Tunis … und dann …«
    Ich unterbreche seinen Wortschwall, damit das nicht noch zwei Stunden so weitergeht.
    »Und wer bezahlt diese ganzen Auswüchse? Wir! Die Kleinen, die Unwichtigen, die rackern sich ab. Aber sobald die Medien da sind, tauchen die großen Künstler auf. Die Beamten, Philippe … Ich mag keine Beamten!«
    Philippe amüsiert sich.
    »Blödmann! Das, was du im Moment an Sozialabgaben zahlst, verschafft keinem von uns armen Beamten eine üppige Rente. So schnell werden wir unsere müden Glieder nicht in der wohltuenden karibischen Sonne ausstrecken können …«
    Er wird wieder ernst.
    »Nein, ich mag die Karibik nicht. Übrigens, was ist mit dir? … Wie sieht’s aus?«
    Autsch! Ich überlege einen Moment.
    »Was meinst du? Was ich von der Karibik halte?«
    Er sieht mich an, als wäre ich ein launisches Kind. Gleich kommen die Vorwürfe … Ich fürchte das Schlimmste.
    »Hör auf mit dem Quatsch«, sagt er gereizt. »Also, wie sieht’s aus?«
    Ich zähle auf: »Liebe, Job, Gesundheit … Alles Mist … Liebe, das weißt du ja … Job, was ist das überhaupt? Ach ja, stimmt, da war mal was … Und Gesundheit! Doch, gesund bin ich. Eisern. Geradezu olympisch fit. Aber du solltest langsam losfahren, Esther wartet sicher schon auf uns.«
    Gehorsam dreht er den Zündschlüssel. Der Motor startet.
    »Constantin, ich bin fix und fertig, total erledigt. Ich habe viel zu wenig geschlafen die letzten Tage – willst du nicht fahren?«
    Ich habe schon eine ganze Weile kein Auto mehr … wegen der finanziellen Krise, in der ich mich gerade befinde. Obwohl ich weiß, dass es idiotisch ist, freue ich mich darüber, ans Steuer zu dürfen. Ich habe das kindische Gefühl, dass Autofahren mich zu einem Teil der Gesellschaft macht. Wir tauschen die Plätze und fahren los.
    Polenta, wir kommen!
    Wir fahren die Kais entlang, die nach den Verwüstungen des zweiten Weltkriegs wieder instand gesetzt worden sind. Damals waren neunzig Prozent der Anlagen von den deutschen Besatzern zerstört worden. Wir kommen an den beeindruckenden Hafenbecken der Grande-Joliette vorbei, gleich gegenüber dem Bahnhof gleichen Namens und der Cathédrale de la Major. Dort legen vor allem die Personenfähren an, die Marseille regelmäßig mit Korsika, Tunesien und Algerien verbinden. Ich deute auf die Gebäude.
    »Tagsüber, in der Sonne, erinnern mich die Kais an die Hölle. Es muss ziemlich hart sein, hier zu arbeiten … Kennst du Joachim Gasquet?«
    Und ich zitiere:
     
    »Mittag glüht, die Kaimauern, schweißüberströmt, dampfen in ruhmreichem Nebel.
    Es scheint, als entflammten sich, berauscht von der Hitze,
    die tanzenden Mauern der Docks. «
    Aber Philippe ist fest entschlossen, mich zu nerven. Er ignoriert das Gedicht und setzt sein Verhör fort: »Lebst du immer noch von Sozialhilfe?«
    Der Kerl geht mir echt auf den Sack! Muss er jetzt unbedingt damit anfangen? Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich damals um das Lebensnotwendigste betteln musste. An die städtischen Beamten … an ihre Überheblichkeit, ihre arrogante Herablassung und ihre schlaffen Ärsche … An ihre Dummheit …
    Dabei bin ich ein Weißer, Franzose, Ur-Marseiller! Was haben meine dunklen Leidensgenossen dort erst für Probleme – diejenigen, die nicht alle Feinheiten der französischen Sprache beherrschen … Geschweige denn, dieses bürokratische Kauderwelsch.
    Was die sich anhören dürfen!
    Von Weibern, die nur da gelandet sind, weil ihre Männer vor Urzeiten Wahlplakate für einen längst verstorbenen Bürgermeister geklebt haben. Was sie natürlich nicht daran hindert, Front National zu wählen. Und die, weil man durchaus um ihre Unfähigkeit weiß und sie nirgendwo sonst haben will, plötzlich mit einer unvorstellbaren Macht versehen werden. Vollkommen grundlos können sie irgendwelche armen Leute schikanieren. In den Warteschlangen vor diesen schmutzigen Büros habe ich unbeschreibliche Dinge gesehen. Was

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