Die Gassen von Marseille
hochzutragen?«
»Constantin?«, antwortet die helle Stimme meiner Nachbarin. »Kommt rein, kommt rein … Fühlt euch wie zu Hause.«
Wir betreten ihre Küche, die noch aus dem neunzehnten Jahrhundert stammt. Auf einem vorspringenden hölzernen Sims ruht eine Wasserauffangwanne. Gleich daneben steht das Spülbecken aus Pierre de Cassis, in dessen Höhlung der tian gestellt wird. Darüber hängt das Regal, in dem das terrailho, das Geschirr, aufbewahrt wird. Weiter hinten stützt der gemauerte Schrank die Wassertanks. Im Panier gibt es noch nicht überall einen Wasseranschluss. Unter der Auffangwanne befinden sich der typische Marseiller Filter und die bauchige Flasche, in der das gefilterte Wasser aufgefangen wird, denn die Brühe aus den Tanks würde hier im Leben niemand trinken! Schließlich noch die römische Waage, ohne die keine gute Köchin auskommt. Und meine Nachbarin ist eine gute Köchin!
Esthers Stimme dringt aus dem Schlafzimmer.
»Ich komme gleich … Constantin, schenk uns schon mal einen Aperitif ein.«
Auf dem Holztisch aus den Fünfzigerjahren thront die Polenta. Daneben steht ein irdener Schmortopf, der, wie ich vermute, das Kaninchen enthält. Am Rand liegt ein Tablett, darauf eine Flasche mit einer dunklen Flüssigkeit und drei winzigen Gläsern. Philippe ist misstrauisch, er mag nur Whisky. Ich lache über sein stummes Leid und fülle die drei Gläser bis zum Rand. Er schäumt vor Wut! Ich koste. Hmm! Nusswein. Das trifft sich gut, ich liebe Nusswein.
Jetzt kommt auch Esther, frisch und rein in einem hellen Kleid, das schneeweiße Haar fest nach hinten gezogen und zu einem makellosen Knoten geschlungen. Philippe und sie begrüßen sich mit einem Küsschen. Meine beiden Freunde mögen sich.
» Té, Esther. Ich hatte keine Zeit mehr, etwas zu kaufen, deshalb komme ich einfach mit leeren Händen«, entschuldigt sich Philippe.
»Das ist doch nicht schlimm, niston, ich habe ja alles hier …«
Wir trinken den Aperitif. Sie klagt über ihre schweren Beine, das Wetter, und fragt ihn, ob ihm die Arbeit als Polizist immer noch gefällt. Ganz ohne Ironie. Es interessiert sie wirklich. Philippe weicht aus und beklagt sich über die Hitze. Ich unterbreche ihre belanglosen Plaudereien, um ein vernünftiges Thema auf den Tisch zu bringen.
»Also ich hätte langsam Hunger, ihr nicht?«
Er verzieht das Gesicht.
»Ich habe keinen Hunger, ich sterbe vor Hunger. Vor allem will ich jetzt endlich wissen, was da drin ist …«
Neugierig klopft er auf den Schmortopf. Esther lacht nachsichtig.
»Was? Das? Nur eine Kleinigkeit … Das würde jeder hinbekommen.«
»Das werden wir ja gleich sehen …«
Wir tragen das Essen in die oberste Etage, wo ich mein Wohnzimmer eingerichtet habe. Auf der einen Seite geht eine kleine Terrasse auf die schmale Straße hinaus, auf der anderen sieht man das Meer und die großen Fähren, die nach Korsika unterwegs sind.
Ich breite meine schönste weiße Decke über den Tisch aus Olivenholz, den ich auf dem Flohmarkt gefunden habe, und verteile Teller und Besteck. Dann öffne ich einen Régusse rosé aus diesem Jahr. Währenddessen hat Esther den irdenen Schmortopf auf den Herd gestellt, und Philippe bereitet uns einen Friséesalat mit Knoblauch zu.
»Ein paar Oliven à la picholine?«, frage ich in die Runde.
Das sind grüne Oliven, deren Bitterstoffe durch Einlegen in Holzasche ausgewaschen werden. Ich mache sie im Winter. Ihren Namen haben sie von einer toskanischen Familie, den Venerosi de Pesciolini … Angesichts der begeisterten Reaktion schreite ich zur Tat … Anschließend hole ich ein paar Anchovis aus dem braun glasierten Topf und wasche sie. Nachdem ich sie gründlich abgespült und getrocknet habe, lege ich sie in eine kleine Schale. Ein wenig grob gehackte Petersilie dazu, einmal an der Pfeffermühle gedreht, eine zerdrückte Knoblauchzehe, ein Spritzer Olivenöl aus der Mühle von Manosque … fertig. Und schon höre ich Esther wie ein Echo: »Fertig! Die Polenta ist warm …«
Sie gibt das Kaninchen hinein, bestreut das Ganze mit ein bisschen Gruyère und stellt den Topf in den Ofen.
»So, in zehn Minuten ist es überbacken … Genug Zeit für ein paar Anchovis zum Einstieg.«
»Wie machen Sie eigentlich Ihre Tomatensoße, Esther?«, will Philippe wissen.
»Oh fan, Kleiner«, seufzt sie. »Du willst mich doch wohl nicht um die Uhrzeit noch ausfragen. Bei meinem Hunger …«
»Ich weiß, was drin ist …«, lasse ich den Schlaumeier
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