Die Gassen von Marseille
einen herben Schlag versetzen.
»Nein! Philippe, red keinen Mist. Ich weiß doch nichts … Außerdem hab ich dich gewarnt, als …«
»Jetzt schau dir mal diesen hübschen Zeugen an«, sagt Philippe, in meine Richtung gewandt. »Lockiges Haar und Rehaugen, bei denen allen cagoles im Viertel, von der Rue de la République bis zur Rue Caisserie, die Knie weich werden. Der uns erzählt hat, dass irgendwelche Kids sich unten an meinem Wagen zu schaffen machen.«
Er deutet mit dem Finger auf Momos Brust, während dieser versucht, ihm auszuweichen.
Dann fährt er fort: »Das ist Momo! Und Momo wird jetzt mit mir da runtergehen und brav seine Aussage machen. Gefolgt von Claude …«
Philippe und Claude haben sich als Studenten auf dem Campus von Luminy kennengelernt.
»Ich sage gerne aus«, antwortet Claude. »Endlich sehe ich mal, wie das bei der Polizei so funktioniert …«
Die beiden haben ständig Ärger miteinander. Sie haben eine vollkommen unterschiedliche Weltsicht. Aber heute hat Philippe keine Lust auf ein Wortgefecht.
»Claude, geh mir nicht auf die Nerven. Ich hab zu viel zu tun, um mich auch noch mit dir rumzuschlagen …«
Claude gehorcht kleinlaut. Wenn Philippe erst mal geladen ist, ist mit ihm nicht gut Kirschen essen. Momo sieht mich flehend an. Ich schneide eine hilflose Grimasse. Daraufhin zieht er resigniert die Augenbrauen hoch und schlurft mit schleppenden Schritten die Treppe runter. Wieder höre ich draußen Geräusche: Weinen, Schreie, Rufe … Der Polizist dreht sich zu mir um und befiehlt unmissverständlich: »Du rührst dich hier nicht vom Fleck. Schenk mir schon mal einen anständigen Whisky ein, ich komme gleich wieder rauf.«
Nach einer kurzen Pause fährt er fort: »Ich habe so meine Befürchtungen, was ich da unten vorfinden werde.«
»Was meinst du damit?«
Er weicht aus. Plötzlich hat er es eilig, nach draußen zu kommen, um den Schaden in Augenschein zu nehmen.
»Nichts, nichts. Du kannst dich ruhig schon hinlegen. Aber lass die Tür offen. Ich schlafe heute Nacht hier. Kümmer dich nicht weiter um mich … Bis auf den Whisky. Ciao!«
Er übernachtet immer noch ab und zu bei mir, so wie früher, bevor er seine Frau kennenlernte. Jetzt, nachdem sie ihn verlassen hat, nimmt er die alten Gewohnheiten wieder auf.
Unten wuseln Feuerwehrleute, Bullen und verschiedene Kriminaltechniker um das geköpfte, verkohlte Auto herum.
Ich fege die Glassplitter unter meinen Fenstern weg. Zum Glück ist Sommer. Ich stelle mir vor, das Ganze wäre im Winter passiert, bei einem eisigen Mistral … Hundemüde gehe ich schließlich in mein Schlafzimmer, den einzigen Raum, der nicht auf die Straße hinausgeht.
Ich kann nicht schlafen, deshalb lese ich ein Gedicht des großartigen Primo Levi, der sich vor kurzem das Leben genommen hat.
»Wir träumten in entsetzlichen Nächten
Schwere Träume voller Gewalt,
Wir träumten mit Seele und Leib:
Heimkehr, Essen, Erzählen.
Bis der kurze, leise
Befehl der Frühe ertönte:
› Wstawa´c‹
Und es zersprang in der Brust uns das Herz. «
Ich bin gerade erst eingeschlafen, als spitze kleine Zähne an mir herumknabbern.
»Aufstehen, aufstehen, wir brauchen Sie«, säuselt mir eine zärtliche Stimme ins Ohr.
Die Katze hat vorsichtig meine Hand zwischen die Zähne genommen und zieht mich nachdrücklich zum Fußende des Bettes. Ihre goldenen Augen glänzen fiebrig im Halbdunkel des Zimmers. Behutsam befreie ich meine Hand.
Sie schnurrt vorwurfsvoll.
»Schnell, schnell!«
Ich stehe auf, während sie auf den Wandschrank zugeht, wobei sie mich nicht aus den Augen lässt, um zu sehen, ob ich auch wirklich verstanden habe, dass ich ihr folgen soll. Dabei hört sie nicht auf zu plappern.
»Miau, miau, miau …«
Ich mache das Licht an und nehme ein Kissen. Langsam gehe ich auf sie zu, und sie, zufrieden über meine Gegenwart, legt sich lang gestreckt auf meinen vom Regal gefallenen Wollpullover. Sie leckt sich sorgfältig. Ich setze mich neben sie, streichle ihr den Kopf und rede mit ihr.
»Komm schon, Kleines, nur Mut!«
Die Wehen haben schon eingesetzt.
Es geht sehr schnell.
Ein schwarzes Fellknäuel, dann ein weißes und hinterher zwei schwarze Kätzchen mit weißen Flecken. Und noch eins, es ist rot. Wie viele bekommt sie denn noch?
Sieben auf einen Streich. Glücklich über ihre quäkende Nachkommenschaft, frisst die Katze hingebungsvoll die Plazenta. Ich hatte kein Tier mehr, seit mein Hund gestorben ist. Es kommt mir vor, als
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