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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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Sessels hat sie geschützt.
    »Philippe!«, schreie ich.
    Er liegt auf dem Rücken, die Augen geschlossen, das Gesicht bleich. Ängstlich laufe ich zu ihm und suche nach seinem Puls. Er atmet. Uff! Draußen höre ich Schreie, Rufe, Stöhnen. Claude geht auf den Balkon, um nachzusehen, was da los ist. Momo ist außer sich.
    »Verdammt! Was war denn das? Eine Explosion?«
    Er hebt eine Hand an sein Gesicht.
    »Oh, fatche de con! Ich blute …«
    Tatsächlich hat er einen kleinen Schnitt an der Stirn. Philippe öffnet die Augen. Ich bin immer noch über ihn gebeugt. Er sieht Momo an und sagt: »Du blutest.«
    Momo geht wortlos in das kleine Bad neben dem Wohnzimmer hinaus. Philippe stützt sich auf mich und steht auf.
    »Ach du Scheiße! Was ist passiert?«
    Ich schenke ihm einen Schluck Rum ein, den er in einem Zug runterkippt.
    »Danke!«
    Er hält mir das Glas hin, damit ich nachfülle. Ich gehorche. Momo kommt mit einem rosa Pflaster auf der Stirn zurück. Er geht hinaus zu Claude auf die kleine Terrasse.
    »Heilige Scheiße! Das Auto!«
    Man hört das Sirenengeheul der Feuerwehr, und wir gehen zu Momo und Claude auf den Balkon. Ich beuge mich über die Brüstung, Philippe tut es mir gleich.
    »Heiliger Affenarsch, so eine gequirlte Scheiße, verdammt noch mal!«
    Philippe hat allen Grund zu fluchen. Das Dach seines Wagens ist verschwunden. Genau wie sämtliche Fenster in der Straße. Unten ist es vollkommen dunkel – die Explosion hat die Straßenbeleuchtung zum Erliegen gebracht. Ringsum auf der Höhe meiner Etage erscheinen weiße Flecken, die Gesichter meiner Nachbarn … Einige wurden aus dem Schlaf gerissen. Die Leute unterhalten sich von Haus zu Haus rufend. Meine korsische Nachbarin steht im Nachthemd da.
    »Was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragt sie mich.
    Sie rollt das R. Ich mag sie gern, jeden Abend schaut sie den Schiffen nach, die zu ihrer Heimatinsel auslaufen, und kommentiert für mich.
    »Té, die Napoléon hat eine Stunde Verspätung!« oder » Mi, die Île de Beauté ist gerade vor Frioul …«
    Sie selbst fährt nie in ihre Heimat, eine Familiengeschichte … Jeden Tag trocknet sie riesige, wundervolle Unterwäsche auf ihrem winzigen Balkon. Ich gestehe ihr, dass ich keine Ahnung habe. Daraufhin fragt sie im Nachbargebäude nach, wo eine algerische Familie wohnt. Während sich das Viertel langsam von seinem Schock erholt, telefoniert Philippe mit seiner Abteilung. Er klingt sehr knapp, effizient.
    Momo packt mich bei der Schulter.
    »Meine Güte, was für eine Geschichte … Heutzutage hält man sich wohl besser von den Bullen fern. Du solltest vielleicht Esther helfen, sie ist sicher fix und fertig.«
    »Esther«, rufe ich meiner Nachbarin zu, »quel estrambord! Wollen Sie sich nicht lieber hinlegen? Ich bringe Sie runter … Vielleicht ist bei Ihnen unten auch etwas zu Bruch gegangen …«
    Sie beruhigt mich.
    »Nein, da ist bestimmt nichts kaputtgegangen. Ich habe nämlich die Läden geschlossen … Aber die Aufregung … Es war wirklich eine ganz schöne Erschütterung … Das hat mich etwas mitgenommen … Ich bin nicht müde, aber ich lege mich doch lieber mit einem guten Rosmarintee ins Bett. Siam pouli! Also, gute Nacht …«
    Sie küsst uns alle zum Abschied und umarmt mich.
    »Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?«, frage ich.
    »Ach, Constantin, mach dir keine Sorgen, Kleiner. Wie heißt es so schön, ›solange man noch gesund ist …‹«
    Momo sieht meiner alten Nachbarin nach, wie sie hinausgeht, und imitiert dann ihren Tonfall: »›Solange man noch gesund ist …‹ Die gute Esther bringt wohl nichts aus der Ruhe … Hier explodiert eine Bombe, und sie kippt sich ’nen Kräutertee hinter die Binde und haut sich aufs Ohr … Ganz schön zäh, deine Freundin …«
    Traurig denke ich über Momos Bemerkung nach. Er weiß nichts von ihrer Vergangenheit, ihrem Leben, den Konzentrationslagern …
    Philippe beendet sein Gespräch. Als Nächstes scheucht er uns herum, als wären wir seine Untergebenen. Da kommt der Bulle wieder zum Vorschein.
    »Okay, sie sind gleich da. Ich geh schon mal runter. Nachschauen, was überhaupt passiert ist, und aufpassen, dass keiner Dummheiten macht. Constantin, du bleibst hier und wartest auf mich. Momo, Claude, ihr kommt mit, um beim diensthabenden Inspektor eure Aussagen zu machen.«
    Momo protestiert. Er ist nicht gerade scharf darauf, dass die Leute aus dem Viertel sehen, wie er mit den Bullen plaudert … Das wird seinem Ruf als cacou

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