Die Gassen von Marseille
Kugeln. Beinahe im gleichen Moment stürzt Claudia zu ihrer Waffe.
Ich lasse mich zu Boden fallen, ein alter Reflex aus der Zeit, als ich noch häufiger in Gegenden zu tun hatte, wo ständig dicke Luft herrschte.
»Scheiße.«
Die Füße des Killers haben sich in der Leiche des Polizisten verfangen. Mit Mühe kann er sich wieder aufrappeln. Claudia hat ihre Waffe fast erreicht. Er lächelt, es ist ein freudiges, genüssliches Lächeln. Das Lächeln des Jägers, der weiß, dass ihm seine Beute nicht mehr entwischen kann …
Ich springe auf.
Jetzt geht alles sehr schnell. Ich lasse meinen Blick suchend schweifen. Claudia packt ihre Knarre. Der Killer zielt. Mit einem Schrei dreht sie sich um. Der Mann lässt sich Zeit.
Und schießt.
»Plopp, plopp!«
Die erste Kugel trifft Claudia unter der linken Brust, die zweite in den Bauch. Zwei Schüsse. Die Waffe gleitet ihr aus den Händen. Sie schreit nicht mehr …
Dafür ich. Dabei realisiere ich noch nicht einmal, dass ich es bin, der da schreit. Ich werfe mich auf ihn und schlage mit aller Kraft zu.
Sein Kopf explodiert, zerspringt wie eine Vase. Ich schließe die Augen und schlage, schlage, schlage. Nach einer Weile dringt der Gedanke in mein Bewusstsein, dass er tot ist.
»Es ist vorbei.«
Meine Hände! Ich habe mir den erstbesten Gegenstand von der Kommode geschnappt, um auf ihn einzuschlagen. Verständnislos starre ich das Ding an. Es ist eine Bronzeskulptur, die ideale Waffe. Eine Tänzerin aus den Dreißigerjahren, die ein Bein angehoben hat, den Kopf gerade aufgerichtet … mit ekstatischem Blick. Ihr Kleid ist rot vor Blut …
Meine Hände auch.
»Ich habe einen Menschen getötet.«
Mir wird übel … Der Schädel des Mannes sieht grauenvoll aus. Ein Magma aus Knochen, Blut, Fleisch … Ein Auge hängt aus der Höhle und sieht mich verwundert an, als könnte es nicht verstehen, was mit ihm passiert ist …
Ich darf nicht auf den Teppich kotzen, denke ich benommen.
Zu spät …
Dann höre ich ein Stöhnen.
»Claudia!«
Schwankend gehe ich auf sie zu. Sie liegt mit angezogenen Beinen da. Eine Blutlache breitet sich um sie aus. In ihrem bleichen Gesicht stechen die Sommersprossen noch deutlicher hervor.
»Hör auf … zu brüllen …«, flüstert sie. »Du bringst mich noch um!«
Sie lacht. Versucht es zumindest.
Scheiße!
Sie hat böse was abbekommen. Ich stürze zur Kommode, wo das Telefon steht. Dabei versuche ich sie zu beruhigen. Schwierig, wenn man selbst zittert wie Espenlaub.
»Mach dir keine Sorgen, ich rufe Hilfe.«
Ich nehme den Hörer in die Hand, aber dann weiß ich nichts mehr. Weder die Nummer der Feuerwehr, noch die des Rettungsdienstes oder der Bullen … Ich zittere immer stärker. Vorsichtig atme ich durch. Ich muss mich beruhigen.
Claudia stöhnt.
»Constantin … Lass … komm … ich kann nicht laut reden … komm schnell …«
Ich lege wieder auf. Sie weiß … Ihr Leben gleitet ihr zwischen den Fingern hindurch.
»Scheiße!«, schluchzt sie. »Scheiße, ich will nicht sterben, Scheiße, Scheiße …«
Sie sieht mich an, bemüht sich um ein verzerrtes Lächeln, als wollte sie sich entschuldigen …
»Constantin … leg mir ein Kissen … unter den Kopf. Ich liege so schlecht. Es tut weh …«
Ich hole ein Kissen und tue, worum sie mich gebeten hat. Ihre Augen sind ganz dicht vor meinen. Ihr Blick ist gebieterisch.
»Näher, Constantin …«, flüstert sie. »Komm näher …« Ich versinke in ihren fiebrigen Augen.
»Du hast ihn erledigt, Constantin, nicht wahr?«
Sie deutet mit dem Blick auf die Leiche des Mannes. Ja. Ich habe ihn getötet. Ich bin nicht stolz darauf, aber im Moment macht es mir auch nichts aus. Nur die Methode …
»Ja, ich hab ihn erwischt …«
Eine Grimasse verzerrt ihre Züge. Rosa Blasen erscheinen in ihrem Mundwinkel.
»Aber er mich auch … So ein Mist … Ich sterbe … Und Justin?«
Sie versucht, sich aufzurichten, um die am Boden liegende Gestalt des Rotschopfs zu sehen. Ich schüttele den Kopf.
»Der Arme …«, spricht Claudia weiter. »Das Leben ist ungerecht … Er war in mich verliebt … Constantin?«
»Ja, Claudia … Lass mich telefonieren, die kriegen dich schon wieder hin …«
Um die Wahrheit zu sagen, bezweifle ich das. Aus den Löchern in ihrem Bauch rinnt das Blut in Strömen …
Sie packt meinen Arm. Ich bin überrascht von ihrer Kraft.
»Zu spät … Hör zu, Constantin … schnell … Wir hätten zusammenkommen können, nicht wahr? Constantin, wir hätten
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