Die Gassen von Marseille
sich von Herzen. Weihnachten zu Hause, kleine Geschenke … Wochenenden in Florida, in der Karibik … Urlaub in Griechenland, Italien …
Natürlich beschließen sie, Kinder zu bekommen. Das Erste wird geboren … Es ist ein Junge … Ein hübsches Baby. Nein, das allerhübscheste Baby auf der ganzen Welt! Alix und ihr Mann sind verrückt vor Freude.
Eines Frühlingsmorgens kommt Alix ins Zimmer des Kleinen, um ihn vorsichtig zu wecken.
Aber er bewegt sich nicht.
Und er wird nie wieder aufwachen.
Eine Katastrophe!
»Anscheinend lag es an einer Art Krankheit. Genaueres dazu ist noch nicht erforscht. Offenbar hat das Kind irgendwann einfach nicht mehr genug Energie, um zu atmen … Und dann erstickt es … Man kann nichts dagegen tun. Normalerweise passiert es bei sehr viel jüngeren Kindern. Aber manchmal sind sie auch schon fast ein Jahr … Pech …«
Ernst fährt Philippe fort: »Danach verliert die Frau den Halt. Ist ja auch kein Wunder!«
Sie ist am Boden zerstört.
Nach der Trauer wandelt sich ihre Verzweiflung in Hass … Auf alles, auf jeden … Ihre Freunde, ihren Mann, ihre Mitarbeiter, ihre Kunden, den Gärtner, das Kindermädchen. Sie tyrannisiert ihre Umgebung, Tag für Tag. Vor allem ihren Mann … Sie will ihn bezahlen lassen … Aber wofür? Zum Schluss lässt er sich scheiden. Und plötzlich ist sie ganz allein. Das macht es auch nicht besser.
Die Schwiegermutter schafft es, den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten. Sie ist die Einzige, die ihren Sarkasmus und ihre Boshaftigkeit erträgt. Alix wird von innen heraus zerfressen. Sie schläft nicht mehr. Ihre Schwiegermutter, die sie als eine ausgeglichene, liebenswürdige, großzügige Frau in Erinnerung behalten möchte, versucht ihr zu helfen und ihr eine Stütze zu sein …
Alix will weg, fliehen. Sie erzählt ihr, dass sie mit jemandem abrechnen muss. In Europa …
»Vergiss nicht, sie ist allein, verzweifelt und voller Hass auf die ganze Welt.«
Sie verscherbelt alles, ihr Appartement, ihr Auto, ihre Aktien … Dann kauft sie ein Flugticket nach Marseille. Warum Marseille? Angeblich besitzt sie Unterlagen, die ihr Geld bringen können. Viel Geld … Dank ihres Vaters. Aber ist das Geld wirklich der Grund?
Ihr Vater …
»Die Schwiegermutter hat ausgesagt, als Alix von diesem Mann gesprochen hat, habe sie gelächelt, dass es ihr eiskalt den Rücken runtergelaufen sei … Sie wusste nicht, was er ihr angetan hat, aber sie hätte nicht an seiner Stelle sein wollen …«
Ihre Schwiegermutter ist eine gute Frau.
Sie hat geweint.
»Das musste ja so kommen! Alix war wie von Sinnen.«
Schweigen … Wir hängen unseren Gedanken nach. Dann gibt Philippe mir das Glas zurück. Ich nehme es und stelle es zusammen mit meinem eigenen auf die Treppe. Später werde ich sie wieder mit nach oben nehmen.
»Gut … Fahren wir?«
Der Polizist sieht mich forschend an.
»Wirst du dich erinnern?«
»Keine Ahnung … Es ist so lange her … Außerdem war ich betrunken, ich habe zeitweise geschlafen. Und auf der Rückfahrt … ähhm …«
»Hattest du eher ihre Beine im Kopf, als auf den Weg zu achten!«, ergänzt Philippe spöttisch.
»Ja … Aber wenn wir hinfahren, könnte ich die Villa vielleicht ausfindig machen … Ja, ich glaube, ich würde sie wiederfinden …«
Er öffnet die Tür des R5, der vor meinem Haus parkt. Sie quietscht fürchterlich. Philippe verzieht das Gesicht.
»Rein mit dir …«
Ich setze mich neben ihn, und wir machen uns auf den Weg nach l’Estaque.
Das Auto wirkt ziemlich mitgenommen.
»Die andere Kiste war mir lieber!«
»Ja, klar, mir auch«, brummt er. »Aber so schnell gibt es keine neue! Das hier ist mein Privatauto. Ich weiß, das ist nicht ideal … Aber anscheinend fliegen die Dienstwagen in meinen Händen ja gleich reihenweise in die Luft … Darum …«
Ich lache. Es stimmt, das Auto hat seine besten Zeiten eindeutig hinter sich … Alles quietscht und vibriert, der Motor röchelt asthmatisch. Als die Straße ein wenig ansteigt, stößt er vollkommen an seine Grenzen. Der Kommissar muss in den ersten Gang runterschalten. Er seufzt und nickt vielsagend.
»Du könntest dir einen neuen kaufen!«
Wieder seufzte er.
»Ja, das sollte ich … Wenn du wüsstest, was ich noch alles sollte …«
Wir fahren schweigend über die schmale Brücke, die nach l’Estaque führt. Von da oben hat man einen beeindruckenden Panoramablick auf den Hafen und die Reede. Die Sonne scheint immer noch warm. Das Meer ist
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