Die Gassen von Marseille
Zaun, Constantin!«
Er packt mich am Arm.
»Ich rede … Du sagst keinen Ton …«
Er drückt den Klingelknopf. Drinnen hört man es läuten.
Alix hätte gesagt, dass diese Klingel einen guten alten Cognac verheißt.
»Oder Champagner natürlich!«
»Was?«
»Nichts, nichts … Ich habe gerade an etwas anderes gedacht …«
Wir warten. Nichts passiert. Wir klingeln noch einmal, diesmal länger. Da fällt mir auf, dass das Tor einen Spalt offen steht. Merkwürdig …
»Philippe, sieh mal, das Tor ist offen … Der Typ ist wahrscheinlich weggefahren!«
»Lass uns noch einen Moment warten.«
Die Zikaden schlafen noch nicht und lassen uns das lautstark wissen. Schweigend rauchen wir eine Zigarette.
»Sprechen wir immer noch nicht über Claudia?«, fragt Philippe. Ich schüttele den Kopf. Er lässt nicht locker.
»Und auch nicht über Juliette?«
»Nein …«
»Also gut, worüber reden wir dann?«
»Wie wär’s mit deiner Frau?«, antworte ich, um ihn auf die Palme zu bringen.
Er sieht mich genervt an, und ich breche in Gelächter aus.
»Ist ja schon gut …«
Mit dem Fuß stößt er das Tor auf.
»Also los, lass uns mal einen Blick reinwerfen. Schließlich ist ja offen …«
Philippe setzt eine unschuldige Miene auf und pfeift falsch »Le temps des cerises« vor sich hin. Wir steigen die drei Stufen zur Terrasse hinauf. Auf dem Weg zur Haustür kommen wir an dem Fenster vorbei, durch das Alix an jenem Dezemberabend geklettert ist.
Ich gehorche der strikten Anweisung meines Freundes und lasse ihn vorgehen.
»Scheiße!«
Jetzt bin ich in ihn hineingelaufen. Er packt mich am Kragen und drückt mir den Kopf runter. Und entsichert die Knarre, die auf wundersame Weise in seiner Hand aufgetaucht ist.
»Beweg dich nicht!«
Flach presst er mich auf den Boden. Was ist denn jetzt schon wieder los? Aus dem Augenwinkel beobachte ich meinen Kumpel, der angespannt ins Zimmer starrt. Plötzlich richtet er sich auf und klettert vorsichtig durchs Fenster. Die Zeit steht still. Ein Insekt, das vor meiner Nase herumspaziert, erregt meine Aufmerksamkeit. Solche Tiere sind mir hier in der Gegend noch nie aufgefallen. Es besteht aus zwei Körpern, die durch einen dünnen Faden miteinander verbunden sind. Sieht fast so aus, als wollte jede Hälfte in die entgegengesetzte Richtung.
Das Leben muss kompliziert sein …
»Hallo, Évêché? Geben Sie mir die Nummer 507 …«
Ich stehe langsam auf. Philippe telefoniert. Im Sessel vor ihm sitzt ein Mann, vollkommen in sich zusammengesunken, sein Kopf liegt auf dem Schreibtisch. Ich will gerade zu ihnen hineinklettern, da hält mich Philippe auf.
»Constantin! Nicht da rein … Komm durch die Tür, aber fass ja nichts an!«
Ich habe den leisen Verdacht, dass es schon wieder Ärger gibt. Gehorsam gehe ich außen herum und betrete das Haus durch die Tür. Philippe legt gerade auf.
»Komm her, und sieh dir das an, Constantin. Alix’ Papa wird uns keinen Ton mehr verraten …«
Ich trete näher. Tatsächlich, der Mann wird nie wieder etwas sagen … Sein Schädel ist … ein bisschen eingedellt. Ein rundes, glänzendes Ding starrt mich unverwandt an.
»Fass das nicht an! Das ist sein …«
Der alte Mann hat eine leere Augenhöhle. Sein Glasauge aber schaut mich über den Tod hinaus an.
»Er ist nicht mehr frisch«, erklärt mir Philippe. »Zwei oder drei Tage alt, würde ich sagen … Die Jungs von der Spurensicherung sind schon unterwegs … Sie werden es uns genauer sagen können … Hast du das gesehen?«
Das Blut unter seinem Kopf ist getrocknet. Er liegt auf einem Stapel Unterlagen, Fotos.
»Ja, hab ich!«
»Ich denke, wir werden bald wissen, was das ist … noch im Laufe dieser Nacht … Sie sind es gewohnt, das Zeug so vorzufinden … mit dem Blut, meine ich.«
Mir läuft ein Schauer den Rücken runter.
»Netter Zeitvertreib!«
Mein Freund zuckt resigniert mit den Schultern.
»Das ist nun mal unser Job …«
Er kniet vor der Leiche nieder.
»Ist das der Kerl, dem ihr die Unterlagen gestohlen habt?«, fragt er.
Ich beuge mich vor, um ihn besser sehen zu können. Das Ganze ist eine Ewigkeit her. Außerdem hatte ich damals gar keine Zeit, ihn mir genauer anzuschauen …
»Ganz ehrlich, ich weiß es nicht«, antworte ich. »Es ist so lange her, ich kann mich einfach nicht mehr erinnern.«
Außerdem war ich total blau. Dann erregen die Bilder an den Wänden meine Aufmerksamkeit. Vor allem eines, das sieht ja fast aus wie … Ich überprüfe die Signatur
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