Die Gassen von Marseille
Erinnerungen existiert sie …
Sie lächelt mich an.
»Juliette?«
Sie lacht leise. Jetzt erkenne ich erst, was diese Worte bedeuten: »Die junge Frau lacht leise.«
Lacht … leise.
Endlich!
Sie schüttelt ihr langes weißes Haar.
»Nein«, flüstert sie, »ich bin nicht Juliette … Ich bin …«
Da wache ich auf. Das Telefon explodiert in meinem Kopf.
Scheiße! Ich knurre vor mich hin …
»Hallo? Bist du das, Constantin? Hier ist Philippe! Mach dich fertig, ich hol dich in einer halben Stunde ab.«
Arschloch!
»Was ist los?«
Er macht eine Pause. Eine von denen, die man »bedeutungsvoll« nennt. Dann antwortet er: »Das erkläre ich dir später. Wir haben das mit den USA überprüft. Die Leiche ist tatsächlich deine Freundin Alix. Ich habe über alles nachgedacht, was du mir heute Morgen erzählt hast … Und dann …«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr nachmittags.
»Meine Güte, ich habe zehn Stunden am Stück geschlafen.«
Mateis lacht.
»Das klingt aber nicht nach dir!«
Er hat recht. Vor allem im Sommer … Normalerweise schlafe ich durchschnittlich vier, fünf Stunden pro Nacht. Dafür mache ich nachmittags eine Siesta, aber die dauert auch nie länger als eine Stunde … Und jetzt zehn Stunden am Stück! Das muss das Schlafmittel sein. Ich bin überhaupt nicht an so was gewöhnt … Verdammt!
»Was hat mir dein Doktor da eigentlich gegeben?«
Philippe lacht und legt auf. Irgendetwas lässt mir keine Ruhe, aber ich bekomme es einfach nicht zu fassen. Also springe ich unter die Dusche, ziehe mich an und mache mir einen ordentlichen Kaffee. Während er durchläuft, kümmere ich mich um meine kleine Katzenfamilie. Die Mutter hat eine Vorliebe für Krabben, die ich zusammen mit Meeraalstückchen in der Pfanne brate.
Es hupt zweimal kurz. Das muss mein Kumpel sein. Er hat angekündigt, dass er nicht extra raufkommen würde. Ich öffne das Fenster und vergewissere mich – mittlerweile bin ich misstrauisch geworden.
Ja, er ist es.
»Ich komme!«
Eilig gieße ich den heißen Kaffee in zwei Gläser, gebe Zucker dazu und schnappe mir zwei kleine Löffel. Dann gehe ich runter, wobei ich aufpasse, mir nicht die Finger zu verbrennen. Er erwartet mich unter dem Vordach des Hauses. An der Fassade sind die Spuren der Bombe noch deutlich zu erkennen.
Gemeinsam betrachten wir schweigend die Schäden, rühren in unserem Kaffee und trinken.
»Sie haben ganze Arbeit geleistet …«
Philippe wirft mir einen Blick zu.
»Weißt du, wo wir hinfahren?«
Natürlich habe ich mir so meine Gedanken gemacht.
»Ich habe zumindest eine Vermutung …«, erkläre ich und setze eine gewitzte Miene auf.
»Vielleicht … könnten wir ja mal bei der Villa vorbeischauen, wo Alix an jenem 14. Dezember die Aktentasche geklaut hat.«
Er lächelt.
»Zwei Genies, ein Gedanke.«
Ich dämpfe seine Begeisterung.
»Es wäre trotzdem ein ziemlich großer Zufall. Oder glaubst du im Ernst, dass die gestohlenen Unterlagen der Grund für den ganzen Ärger sind?«
Philippe trinkt einen Schluck.
»Es gibt neue Informationen. Ich habe den ganzen Tag mit den Staaten telefoniert.«
Und dann erzählt er … Alix hat sich drüben ein ganz neues Leben aufgebaut. Sie hat ein Kunststudium angefangen. Zwar kannte ich das junge Mädchen nicht besonders gut, aber ich hätte nie gedacht, dass ihre Neigungen in Richtung eines solchen Studiums gehen würden. Danach hat sie einen Job als Fotografin gefunden. Als ich das höre, bin ich wirklich überrascht. Es gibt keine Zufälle … Ohne es zu wissen, habe ich in ihr eine Berufung geweckt.
Das bringt Mateis zum Lachen. Er piekst mich mit seinem Zeigefinger in den Bauch.
»Ein wahrer Pygmalion …«
»Ich habe gesehen, dass ihr unsere Sitzungen in dem Hotel gefielen, und sie hat sich auch für die Technik interessiert, aber … das hätte ich mir niemals träumen lassen … Hat sie eigentlich geheiratet?«
»Ja. Eine ziemlich traurige Geschichte … Ihre Schwiegermutter hat sie mir erzählt.«
Es war eine Liebesheirat mit ihrem Architekturprofessor. Ein ordentlicher Mann, bekannt, Regierungsberater … Älter als sie, aber das war kein Problem. Sie vergöttern sich …
Die Zeit vergeht. Das Paar versteht sich immer noch sehr gut. Alix macht sich selbständig und spezialisiert sich auf Architekturfotografie. Ihr Mann hat ihr ein paar Türen geöffnet. Es läuft gut. Sie vergrößert ihr Geschäft, beschäftigt schließlich ein knappes Dutzend Angestellte.
Das Paar liebt
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