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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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Gegenstand über den Schädel zieht …«, schließt Philippe.
    Er legt das Foto auf den Tisch, wo wir es alle deutlich sehen können. Anschließend greift er wieder nach der anderen Mappe, nimmt ein handbeschriebenes Blatt Papier heraus und überfliegt es. Dann zieht er eine Augenbraue hoch und sieht mich mit seltsamem Blick an.
    »Hier, das ist für dich … Ein Brief aus dem Jenseits.«
    Ich greife nach dem Brief. Die Schrift erkenne ich sofort wieder. Ich vergewissere mich und lese die Unterschrift. Er ist tatsächlich von ihr.
    »Das ist ein Brief von Alix.«
    Alle sind überrascht. Ich am allermeisten … Laut beginne ich vorzulesen.
     
    Constantin, der »stürmische Grieche« , aber auch mein kosmischer Zwilling (so denke ich in meinem kranken Kopf an dich!).
    Du wirst dich sicher über meinen Brief wundern. Ich hoffe, du erinnerst dich noch an mich. Alix. Die Belgierin, mit der du an einem 1 5. Dezember frühmorgens Sex auf dem Dach eines Kinos hattest.
    Ich jedenfalls habe dich nicht vergessen. Ich habe mich deshalb stets an dich erinnert, weil du Dinge verkörperst, die im Laufe der Jahre Bezugspunkte in meinem Leben geworden sind. Na ja, es gehört zur Vergangenheit.
    Heute ist alles anders: Ich rechne ab, ich kämpfe gegen die schwarzen Hunde der Hölle. Und ich fürchte, ich habe dich unabsichtlich in eine gefährliche Geschichte mit hineingezogen. Es tut mir leid, aber ich habe deinen Namen aus Versehen im Zusammenhang mit einer schmutzigen, verworrenen Affäre erwähnt. Ich habe Angst vor diesen Leuten. Sie wollen alle Spuren ihrer Verbrechen auslöschen. Aber … ich muss es dir trotzdem erklären. Wenn du dich an unseren Ausflug erinnerst, hast du vielleicht auch nicht vergessen, dass ich Unterlagen aus einer alten Villa geklaut habe. Das war bei meinem Adoptiv-»Vater« … den ich hasse wie die Pest … Er ist das absolute Böse. Seit einiger Zeit glaube ich an den Teufel. Dieser Mann ist einer seiner Diener. Er hat meine ganze Jugend verdorben, er hat mich zerbrochen, körperlich und seelisch …
    Trotz jahrelanger Therapie bin ich immer noch im Stadium des Hasses … Also werde ich versuchen, den Grund für mein Unglück auszumerzen … Mich zu rächen … Ich bin nicht die Einzige, der dieser Mann wehgetan hat. Jemand muss ihn aufhalten, ihn zur Rechenschaft ziehen …
    Ich schicke dir alle Unterlagen, die ihn belasten – mach damit, was du willst. Das Beste für dich wäre, sie veröffentlichen zu lassen. Ich für meinen Teil werde vergessen. Wenn ich kann … Denk ab und zu an mich. Grüße und Küsse,
    Alix.
     
    Wir sind wie betäubt.
    »Bon diou!«, entfährt es Guidoni.
    Aber worum geht es eigentlich? Der Kommissar nimmt die offiziellen Dokumente und reicht sie dem deutschsprachigen Inspektor. Dieser beginnt zu lesen.
    »Das hier kommt aus Berlin … Oh, verdammt! Das kann doch nicht wahr sein!«
    »Was ist denn?«, fragt der Kommissar.
    »Wissen Sie, wer hier unterschrieben hat?«, entgegnet Schiller. »Da, schauen Sie!«
    Er zeigt uns die Unterschrift. Und plötzlich schlägt über uns, in diesem friedlichen kleinen Hafen, eine kalte Woge zusammen, schwarz wie der Tod …
    Himmler!
    Dieser unheilvolle Name. Der Polizist liest weiter.
    »Das stammt vom September 1942. Es ist ein Telegramm an Karl Oberg, den Leiter der deutschen Polizei in Frankreich. Grob zusammengefasst, macht man sich Sorgen um Marseille … Es folgen Anweisungen in Abstimmung mit Vichy und der Stadtverwaltung. Die alten Viertel sollen gesäubert und abgerissen werden. Festzunehmen und nach Beaumettes zu verbringen sind: ›die Vorbestraften, die Zuhälter, die Obdachlosen, die Vagabunden, die Streuner, alle, die nicht über eine Lebensmittelkarte verfügen, alle Juden, alle Ausländer ohne gültige Aufenthaltserlaubnis, alle Ausgewiesenen und alle Personen, die seit einem Monat keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen‹.«
    Trotz der Hitze fröstelt mich. Der Kommissar fixiert das Papier.
    »Das war kurz vor den großen Razzien von dreiundvierzig und der Zerstörung des Panier.«
     
    Die Zerstörung des Panier … Ein ganzes Viertel von Marseille, das Herz, die Seele der Stadt … Der Ort, an dem die Griechen einst unter der Führung von Protis an Land gegangen waren – zerstört auf Befehl der Deutschen, die befürchteten, Widerständler könnten sich dort verstecken. Und erst die Razzia, die der Zerstörung vorausging: Von den mehreren tausend Verhafteten kamen nur rund dreißig tatsächlich ins Gefängnis …

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