Die Gassen von Marseille
gefragt habe … Was ich nicht wissen wollte oder wovon sie mir nichts erzählen wollte. Es lag eine seltsame Verbitterung in ihren Worten. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll …«
Ich verliere die Beherrschung.
»Verdammt, ich hatte den Eindruck, als hätte ihr Vater sie vergewaltigt … Scheiße, Mann, du kapierst aber auch gar nichts!«
Mein Freund legt mir eine Hand auf die Schulter.
»Mach dir keine Vorwürfe … Was passiert ist, ist nicht deine Schuld. Hör zu. Das alles ist gar nicht so kompliziert, im Gegenteil, es ist recht simpel! Aus einem Grund, den wir noch nicht kennen, beschließt eine Frau, einen Mann zu erpressen. Sie kommt nach Marseille und nimmt Kontakt mit ihm auf. Der Typ ist absolut nicht kooperativ und hetzt ihr stattdessen ein paar Killer auf den Hals. Diese finden sie, hängen sie an einem Kran auf und …«
Ich falle ihm ins Wort.
»Okay … Bis dahin bin ich mit dir einverstanden … Aber danach wird es doch ein bisschen komplizierter. Was habe ich mit der ganzen Sache zu tun? Ich habe die Frau seit damals nicht wiedergesehen … Warum, bitte, versucht dann seit drei Tagen jemand, mich umzulegen? Und wer hat dem Alten den Schädel eingeschlagen?«
Philippe schaut mich finster an.
»Bist du sicher, dass du nicht ein paar von den Unterlagen behalten hast?«
Der Bulle geht mir echt auf die Nerven …
»Natürlich nicht! Was glaubst du denn …? Ich hab mir das verdammte Geschreibsel nicht mal aus der Nähe angesehen! Ich war viel zu sehr mit den weißen Stelzen beschäftigt, die unter ihrem Minirock rausragten. Warum ich? Ich verstehe wirklich nicht, was ich mit dieser gottverdammten Scheißgeschichte zu tun habe!«
Mein Kumpel fasst zusammen: »Das sind mindestens zwei Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte. Bis jetzt weiß ich nur eins: Die Typen, die dich umlegen sollten, waren davon überzeugt, dass du jemanden ordentlich ausnehmen wolltest.«
»Dann muss Alix ihnen das eingeredet haben … Warum auch immer, ich habe keine Ahnung …«
In dem Moment kommt Inspektor Guidoni auf uns zu, mit einer dicken Akte unter dem Arm und einem zweiten Bullen im Schlepptau. Die beiden starren sehnsüchtig auf die Überreste unseres Essens. Mateis versteht den Wink und begrüßt seine Kollegen herzlich: »Setzen Sie sich, Messieurs. Sie wollen doch sicher auch eine Kleinigkeit essen …«
Er stellt mir den Neuankömmling vor.
»Das ist Inspektor Schiller …«
Der Mann ist groß, hat strohblondes Haar und helle Augen. Er wirkt verlegen.
»Guten Tag, Kommissar …«, sagt er entschuldigend. »Ich dachte …«
Guidoni schneidet ihm das Wort ab.
»Ich habe ihn gebeten, mitzukommen, weil er aus dem Elsass stammt. Er spricht und schreibt boche … äh … deutsch. Er kann übersetzen …«
Er öffnet die Akte und zieht eine dünne Mappe heraus.
»So. Das ist der Bericht, und hier sind die Unterlagen, die der Tote unter dem Schädel hatte …«
»Sehr gut, Guidoni. Gute Arbeit. Ich empfehle Ihnen die frittierten Meerpfauen … Ihnen hängt sicher der Magen in den Kniekehlen?«
Der Inspektor ist überrascht und erfreut.
»Meerpfauen? Té, es ist lange her, dass ich zum letzten Mal auch nur einen Meerpfauenschwanz gesehen habe … Eine halbe Ewigkeit … Als ich noch klein war und mit meinen Cousins zum Angeln auf die Hafenmole ging …«
Der Wirt kommt an den Tisch. Die beiden ausgehungerten Männer bestellen. Mateis nimmt unterdessen den Bericht und fängt an zu lesen.
»Seit ungefähr zwei Tagen tot … Schlag auf den Kopf, der zum Tod führte … Stumpfer Gegenstand … Keine passende Waffe in der Nähe der Leiche.«
In einer Ecke meines Gehirns blitzt eine Idee auf. Der Kommissar liest weiter.
»Sie haben noch nicht das ganze Haus überprüft. Keine Zeit … Wir bekommen den vollständigen Bericht morgen … Nun ja … Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, dass wir den gar nicht mehr brauchen …«
Er fährt mit der Lektüre fort.
»In einem geöffneten Tresor haben sie einen Reisepass gefunden, ausgestellt auf den Namen … Auguste Roussel … Das Foto auf dem Pass zeigt den Toten … Überprüfung in der Präfektur …«
Inspektor Guidoni unterbricht seinen Vorgesetzten.
»Ach, übrigens, Kommissar, ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass uns jemand die Akte des Kerls vorbeibringen wird.«
Er wirft einen Blick auf seine Uhr.
»Müsste gleich da sein!«
»Es gibt eine Akte über ihn?«
Guidoni trinkt einen Schluck Weißwein, ehe er
Weitere Kostenlose Bücher