Die Gauklerin von Buchhorn: Historischer Roman (German Edition)
ob Eberhard seine Worte verstanden und geglaubt hatte. Was würde der Graf tun, wenn er seine Botschaft bekäme? Mehr als einmal hatte Wulfhard in den letzten vier Monaten um den Tod gebetet, aber wann immer die Schmerzen erträglich geworden waren, war sein Lebenswille mit Macht zurückgekehrt. Er drehte den Kopf und musterte den Offizier, der, unnötige Befehle bellend, neben ihm herstapfte. Aus der Nähe konnte er die geplatzten Äderchen in seinen Wangen und die schlechten Zähne sehen. Als er einen Blick des Mannes auffing, grinste er herausfordernd. Dieses Grinsen würde ihm weitere Prügel einbringen, aber die sprachlose Wut in den Augen dieses aufgeblasenen Wichtigtuers war es ihm wert.
Sie betraten einen Nebentrakt des Bischofssitzes, durchquerten Gänge, bis sie schließlich an einer grob in den Stein gehauenen Treppe Halt machten. Wulfhard starrte in die Finsternis zu seinen Füßen und biss die Zähne zusammen. Neben sich fühlte er das Grinsen des Offiziers mehr, als dass er es sah.
»Da runter!«
Die Ketten an seinen Füßen schleiften auf dem Boden, während er im rötlichen Fackelschein seinen Weg ertastete. Ab und zu erinnerte ihn ein leichter Stoß an die Anwesenheit seiner Bewacher. Einer der Soldaten ging voraus und sah sich in dem Raum um, in den die Gefangenen gebracht wurden. Er lachte, und das Geräusch wurde meckernd von den Wänden zurückgeworfen. »Keiner da! Die sind wohl alle sehr fromm hier! Na ja, jetzt wohnt hier der Ehrengast.«
Wulfhard fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Eiserne Ringe, von denen schwere Ketten mit Halseisen hingen, glänzten matt im Fackelschein. Der scharfe Geruch von Urin und Moder, der aus den Ecken stieg, weckte Erinnerungen, die er lieber vergessen hätte.
Der Offizier kam mit einer Fackel herein. »Für eine Landplage wie dich genau der richtige Ort«, dröhnte er.
»Warst selbst schon mal hier drin, wie?«
Auf ein Zeichen ihres Anführers hin packten zwei Soldaten Wulfhard an den Armen und hielten ihn fest, während der Offizier ihm die Faust ein, zwei Mal in den Bauch drosch. Dann ließen sie ihn los und sahen gleichgültig zu, wie er auf den Boden sackte.
»Das war dafür, dass du den Herzog einen Verräter genannt hast. Und das …«, er trat Wulfhard, der zu spät begriff, in die Seite, »war eine Warnung. Nenn mich nie wieder Freund, du Sack!«
Wulfhard keuchte, aber es gelang ihm, sich an der Wand hochzuschieben, bis er aufrecht saß und den Offizier anblicken konnte. »Hat sich denn jemand die Mühe gemacht, dir einen Namen zu geben, Freund ?«
Der Offizier bleckte die Zähne und trat erneut zu. »Bernulf!«
Wulfhard lächelte gequält. »Bernulf«, wiederholte er, als wollte er den Namen auf der Zunge schmecken. »Sollte ich aus der Hölle zurückkommen, Bernulf, schick ich dich dahin!«
Der Offizier ging vor ihm in die Hocke und schob sein Gesicht so dicht an das des Gefangenen, dass Wulfhard jede Einzelheit der wulstigen Narbe über seinem Auge sehen konnte. »Ich kenne Kerle wie dich«, zischte er. »Die glauben nicht mal dann, dass es vorbei ist, wenn sie ihre Gedärme rausquellen sehen. Glaub mir, es ist vorbei. Mach deinen Frieden mit Gott!« Er spuckte Wulfhard ins Gesicht.
Der hob mühsam die Hand und rieb den Speichel mit dem Handrücken fort. »Ich werde beten«, sagte er leise, doch das Echo warf seine Stimme zurück, »denn jetzt habe ich eine Rechnung offen, Bernulf. Ich töte dich, und wenn ich dazu aus der Hölle zurückkommen muss.«
Er sah den Schlag kommen und schloss die Augen, ehe die Schwärze der Bewusstlosigkeit ihn aufnahm.
H
Ein Mönch bedeutete Eberhard, am Ende des Ganges zu warten. Der junge Mann wusste, dass sich hier das Zimmer des Fürstbischofs befand. Er sah die dunkle Kutte hinter einer Tür verschwinden und fühlte sich plötzlich grenzenlos verlassen. Obwohl der Mönch nur das Notwendigste mit ihm gesprochen hatte, war er ihm dennoch wie ein Beschützer in dieser furchteinflößenden Umgebung erschienen. Während Eberhard darüber nachdachte, wie hoch die Flure und die Decke sein mochten, versuchte er sich in Erinnerung zu rufen, was er sagen wollte. »Herr, ich danke Euch, dass Ihr mich empfangen habt …«
Eberhard unterbrach seinen geflüsterten Monolog, da er Schritte und Stimmen vom anderen Ende des Gangs kommen hörte. Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Mauer und betete darum, unsichtbar zu sein, während die beiden hochgewachsenen Edelleute an ihm vorbeischlenderten.
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