Die Gauklerin von Buchhorn: Historischer Roman (German Edition)
besser als Dietger. Ich hab dich da stehen sehen und gaffen. Du fandest die Striemen nicht abstoßend, als mein Mann sie mir beigebracht hat.«
»Eben, er ist dein Mann.« Unschlüssig trat Wulfhard von einem Fuß auf den anderen. »Vor Gott bist du sein Weib.«
Sie wischte sich das Blut mit einer angeekelten Geste von der Oberlippe. »Und ich gehöre ihm. Ist doch egal, warum er mich totschlägt. Ich kann ihm kein Kind geben und auch sonst nichts mehr! Willst du oder willst du nicht?«
»Nein!« Wulfhard wich zurück. Der Honigduft folgte ihm.
»Du bist noch armseliger als mein Mann!«
Er fuhr herum, packte ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich soll armselig sein, weil ich mich nicht mit dir abgebe? Hör zu, Weib: Um mir zu gefallen, musst du mehr sein als nur eine Hure. Du musst eine begehrenswerte, gesunde Hure sein!«
Sie öffnete den Mund, aber kein Ton kam heraus. Einen Augenblick lang starrten sie sich durch die Dunkelheit an, dann stieß er sie mit einem Fluch ins Zimmer zurück und ging hinaus. Der Wind schlug ihm ins Gesicht. Im Westen zuckte ein Blitz über den Himmel. Donner grollte.
»Ich hätte sie doch aufbocken sollen!«, fluchte er und trat gegen die Wand. »Sie hat ja förmlich drum gebettelt!« Ein zweiter Blitz zerriss die Dunkelheit. »Oder auch nicht«, murmelte Wulfhard und bekreuzigte sich mit einem scheuen Blick zum Himmel. »Verdammte Weiber, sogar wenn man die Finger von ihnen lässt, hat man Ärger! Wenn ich jetzt zu dem Mönch gehe, wird er fragen, wo ich gewesen bin. Auf das Verhör kann ich wirklich verzichten.« Er holte tief Atem und schlug den Weg zum Anwesen des Grafen ein.
Als Wulfhard an der Schmiede vorbeikam, bemerkte er schwachen Lichtschein. Er dachte an Gerald, der dort jetzt mit seiner Frau saß, während er sich allein gegen Wind und Kälte stemmte. Die Blitze tauchten den Wald wieder und wieder in ihr unheimliches Licht. Urplötzlich öffnete der Himmel seine Schleusen. Es war kein sanfter Regenguss, sondern ein wütendes Trommeln, das auf der Haut brannte. Die Blätter wurden von den Ästen gerissen und taumelten im Schein der Blitze.
»Herr, ich habe sie doch gar nicht genommen!«, schrie Wulfhard gegen das Toben an. »Was habe ich falsch gemacht? Was? Es ist nicht meine Schuld, dass er mich für einen Geist gehalten hat. Und ich wollte sein Haus nicht abfackeln, das schwöre ich!«
Am liebsten wäre er gerannt, aber die völlige Dunkelheit machte jede schnelle Fortbewegung unmöglich. Seine Schritte schmatzten, während er sich seinen Weg ertastete. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die leisen Zwischentöne der Nacht, sodass er nicht mehr alle paar Schritte gegen einen Ast prallte.
Ein Platschen ganz in seiner Nähe schreckte ihn auf. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie leicht er einem wilden Tier zum Opfer fallen konnte. Er wich zurück, um bei einem der Bäume Schutz zu suchen. Im nächsten Moment spürte er einen brennenden Schmerz. Er fuhr herum. Seine Hand streifte einen Arm, der versuchte, nach ihm zu greifen. Ohne nachzudenken riss Wulfhard sein Messer aus dem Gürtel. Der Schmerz in seiner Seite drohte ihm den Atem zu rauben. Verzweifelt sah er sich um, aber da waren nur der Sturm und das Prasseln des Regens.
Wulfhard zwang sich, weder zu röcheln noch zu keuchen. Bilder von Reinmars verstümmelter Leiche blitzten vor seinem inneren Auge auf. Er verdrängte sie und lauschte. In seinem Rücken glaubte er, eine Bewegung wahrzunehmen. Er warf sich herum. Sein Messer zerschnitt im Halbkreis die Luft. Gleichzeitig traf ihn ein Faustschlag an der Schläfe. Er taumelte, glitt aus und stürzte rücklings in den aufgeweichten Boden. Sofort war der Angreifer über ihm. Wulfhard hörte seinen Atem und stieß sein Messer dorthin, wo er den Bauch des anderen vermutete. Ein unterdrücktes Wimmern war die Antwort. Wulfhard versuchte, auf die Füße zu kommen, doch im nächsten Augenblick platschten eilige Schritte und verhallten in der Nacht.
Wulfhard stemmte sich auf Hände und Knie. »Komm zurück, du Bastard!«, brüllte er dem Fliehenden hinterher.
Nur der Regen antwortete ihm. Mit zusammengepressten Zähnen kroch er auf einen Baum zu und zog sich am Stamm hoch. Als er nach der Wunde tastete, sickerte klebriges Blut über seine Finger. Wulfhard wusste, dass sein Leben von der nächsten Entscheidung abhing: die Burg oder das Dorf.
Mit einem Stoßgebet taumelte er den Weg zurück, den er gekommen war. Seine Kräfte schwanden mit jedem Schritt.
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