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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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Übung, nur ein gutes Auge. Selbst gegen einen Mann«, sagte er bedeutungsvoll, »wie Heinrich von Wolfsberg.«
    Anna sah ruckartig auf. Dann griff sie nach der Armbrust. Sie war nicht so schwer, wie sie gedacht hatte. Obwohl sie groß war, lag sie bequem auf der Schulter.
    Raoul trat hinter sie, um ihre Haltung zu prüfen. Die eine Hand schloss sich um ihren Arm, die andere lag leicht auf ihrer Schulter. Sie spürte seine Wange dicht an ihrer, sein Haar. Ein Prickeln über lief sie.
    Hastig legte sie die Armbrust ab und trat zurück. »Glaubt Ihr, eine Frau kann sich nur mit einer unehrenhaften Waffe verteidi gen? Im Augenblick bin ich sicher nicht schwächer als Ihr.« Sie zog sein Schwert aus der Scheide und schwang es.
    »Nimm die Linke, um den Griff zu ziehen oder zu schieben«, meinte Raoul unbeeindruckt. »Die rechte Hand gibt nur die Rich tung vor. Allerdings scheint sie mir ein wenig klein.«
    Anna stieß die Klinge in den Boden. Es knirschte, als sie auf Stein traf, und der straff mit Lederbändern umwickelte Griff schwankte zwischen ihnen hin und her. »Ich zwinge Euch nicht«, spottete sie. »Es ist Eure Haut.«
    Nach vier Tagesreisen und zwei Zollburgen hatten sie den Pass mit dem Brennerhof überwunden und waren in das Tal von Brixen ab gestiegen. Anna dachte an ihre Freundin Sibylle, die mit einem fahrenden Goldschmied weggelaufen war. Es hatte geheißen, sie würde jetzt in Brixen leben, und Anna nahm sich vor, dort nach ihr zu fragen. Es wäre schön, sie wiederzusehen.
    Sie hatten nur noch wenige Meilen vor sich, als sich mitten in der Bergwildnis eine gerodete Fläche mit rotgoldenen Weinbergen öffnete. Unterhalb erhob sich ein Turm, um den sich mehrere Gebäude aus Stein gruppierten. Tore, Mauern und Brücken über denWildbach gaben der Anlage etwas von der Wehrhaftigkeit einer Burg. Staunend bewunderte Anna das fast kreisrunde Bauwerk etwas außerhalb mit seinen hölzernen Nebengebäuden. Sie hatte keine Vorstellung, was es war.
    »Hier werden wir überwintern«, sagte Raoul. Heute war er noch nicht rasiert, und die vorstehenden Wangenknochen beton ten die Schatten auf seinen Wangen. Wieder prickelte es in ihrem Nacken. Ein kurzer Blick unter seinen dichten Wimpern streifte sie, und schnell sah Anna weg. Der Gedanke, hier monatelang mit ihm eingepfercht zu sein, machte ihr Angst. Was immer er in ihr auslöste, sie wollte es nicht.
    »Der Graf von Tirol wird zu Weihnachten herkommen«, fuhr er fort. »Wir werden auf ihn warten. Die Abtei heißt Neustift.«
    Neustift in Tirol. Anna brauchte einen Augenblick, um zu be greifen. Das war der Ort, an den sie Falconets Buch bringen sollte, der Ort, an dem es entstanden war? Warum hatte sie nur nie ge fragt, wo dieses Neustift lag! Wenn der Propst des Stifts ihr half, wenn sie jemanden fand, der für sie bürgte, konnte sie nach Kal tenberg zurück. Und dann wäre sie auch weg aus Raouls Nähe. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie sich fragte, ob er nichts bemerkte.
    Der Wildbach hieß Eisack, sie überquerten ihn auf einer be festigten hölzernen Zollbrücke. Jemand stieß sie zur Seite, ein paar Winzer mit ihren Flechtkörben kamen, um ihre Weinfuder als Abgaben abzuliefern. Schafe strömten blökend auf die Stallun gen zu. An der Außenseite der Mauer, an einem Nebenarm des Eisack, gab es sogar eine Mühle. Verblüfft sah sich Anna um. Hier mitten in der Wildnis war dies eines der größten und reichsten Klöster, die sie je gesehen hatte.
    Raoul war offenbar schon hier gewesen. Zielstrebig steuerte er über eine Wiese voller Gänse auf den Rundbau zu. Er gehörte zum Hospiz und beherbergte die Kapelle. Steinhäuser mit Außentreppen und regenverwitterten Dachschindeln schlossen über eines der Torhäuser daran an und bildeten einen Hof. Die anderen Ge bäude,die sich darum gruppierten, waren in den Boden eingelassen, die Türen verwittert und schief. Doch steinerne Arkaden zeugten vom Reichtum des Stifts. Die Anlage schien nur aus Toren zu bestehen – von hier führte eins weiter zur Kirche und den Gebäuden der Chorherren, zwei weitere offenbar nach draußen. Das reinste Labyrinth, dachte Anna verwirrt.
    Die Gelegenheit kam schneller als erwartet. Raoul überließ es ihr und Maimun, die Pferde zu versorgen. Offenbar sorgte er sich nicht, dass sie fliehen könnte – seit der Köhlerhütte hatte sie kei nen Versuch mehr gemacht, und er konnte nicht wissen, was Neu stift für sie bedeutete. Anna half, die Tiere in den Stall zu bringen, und sagte dann,

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