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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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sie sich herumschwenken und fegte die Würfel einer Gruppe von Spielern vom Tisch.
    Sie lachte laut und wich seinem Kuss aus. Mit einem kräftigen Klaps auf den Hintern schob sie ihn von sich weg. Die Spieler ge rieten wegen der Würfel aneinander, und Anna stellte sich in eine Reihe mit den Mägden, die sie rhythmisch tanzend und schreiend anfeuerten. Sie stieß einen schrillen Triller aus. Mit einer wilden Bewegung warf sie die Haare aus dem Gesicht. Wann hatte sie zuletzt so gefeiert? War es in Kaltenberg gewesen, beim Maitanz? Es musste Jahre her sein. Ihr Kopf glühte, ein feuriger Kreisel drehte sich darin. Die Magd neben ihr hörte plötzlich auf zu tan zen und sah zum Ausgang. Anna taumelte aus der Reihe, und ihr erhitzter Blick folgte ihr.
    In der Tür lehnte Raoul.
    Langsam kam Anna zum Stehen. Jemand rief ihr etwas zu, sie hörte es nicht. Für einen Augenblick verschwamm alles. Das Ein zige, das sie wahrnahm, waren diese nachtdunklen Augen.
    »Wo ist die Gauklerin?« Ein paar kräftige Kerle drängten sich her. Warum musste er sie so ansehen! Anna erinnerte sich gewalt sam, dass sie allen Grund hatte, ihn zu hassen. Zornig über sich selbst sah sie in eine andere Richtung und dachte an den Rittersaal von Kaltenberg und an Ulrich.
    »Anna! Los, gib uns etwas zu lachen!« Der Größte hatte sie ge packt und hochgehoben. Sie roch Bierdunst. Lachend schlug und trommelte sie auf den muskulösen Rücken ein, aber das schien ihn nicht zu stören. Er tätschelte ihre Kehrseite, dann setzte er sie mit einem Schwung auf einem Tisch ab.
    »Ruhe!«,brüllte er, und zischend mischten sich die anderen ein.
    »Ich kann nicht singen, ohne zu trinken!«, rief sie. Die Leute johlten und lachten. Jemand reichte ihr den Humpen herauf, sie nahm einen tiefen Zug und wischte sich den Schaum von den Lip pen. Ein kannibalisches Wohlgefühl machte sich in ihr breit, be täubte prickelnd alles andere. Anna schob mit dem Fuß ein paar Holzteller vom Tisch, um Platz zu haben. Sie sah in die Runde, und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Anna liebte diesen Moment, direkt bevor sie zu singen begann: wenn sie die Erwar tung spürte und die seltsame Verbindung zwischen ihr und ihren Zuschauern entstand, die man förmlich greifen konnte. In diesem Moment gab es keinen Ort auf der Welt, an dem sie lieber gestan den hätte als hier. Während sie die Augen durch das Gewölbe schweifen ließ und nur die Tür vermied, wo Raoul lehnte, suchte sie nach dem richtigen Lied.
    Die Tische bogen sich zwar nicht gerade unter den Speisen, aber es gab gekochte Eier, Kraut, Rübengemüse und Äpfel. Ihr Blick fiel auf ein mageres Suppenhuhn, und sie verbiss sich das La chen. Sie wusste, was die Leute jetzt hören wollten:
    » Einst hab ich einen See geschmückt. Einst war ich ein schöner Schwan. Ich Armer! Jetzt bin ich schwarz und scharf angebraten! Der Koch drehte und wendete mich im Feuer, und jetzt setzt mich der Mund schenk vor !«
    Brüllendes Lachen unterbrach sie und feuerte sie an. Die Men schen sprangen auf die Tische. Rhythmisch stampfend begannen sie zu tanzen, Dienstleute des Klosters, Pilger, Galgenvögel. Einer hatte eine Harfe, die er auf den Oberschenkel stellte, um ein gril lenartiges Zwischenspiel anzustimmen. Einer der Subdiakone, ein sommersprossiges Kerlchen mit strohblondem Haar, griff sich einen Hühnerschlegel. Laut predigte er, wobei er den Tonfall des Propstes täuschend echt imitierte: » Ich bin der Abt vom Schlaraffen land! Mein Rat ist mit den Säufern, mein Wille geschehe in der Gemeinde der Spieler! Und wer morgens zu mir in die Kneipe kommt, den zieh ich biszum Abend aus bis auf die Knochen. Und dann wird er jammern: Waffen! Was hast du Scheißwürfel nur getan !«
    Anna schüttete sich aus vor Lachen und leerte ihren Humpen. Der mit der Harfe modulierte ein paar weinerliche Akkorde und leitete wieder zu ihr über:
    » Ich liege auf einem Tablett, ich kann nicht mehr fliegen, und überall um mich sehe ich gebleckte Zähne! Ich Armer! Schwarz und scharf an gebraten !«
    Die Leute ließen sich von der Musik völlig aus der Fassung bringen. Sie brüllten und lachten, tanzten außer Rand und Band. Beichten konnten sie morgen wieder, heute wurde gefeiert!
    »Sapperlot! Das geht ja hoch her!«, donnerte eine Stimme. Anna unterbrach sich, alle Köpfe drehten sich zum Eingang.
    Im Fackelschein glänzte blondes Haar. Schnaubend wie ein Ra cheengel fuhr Subdiakon Hieronymus in die überraschte Menge. »Schöne Messen feiert

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