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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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ihr hier! Die Dämonen der Hölle werden eure verlorenen Seelen verschlingen!«
    Die Leute ließen sich nicht stören. Ein paar lachten und klatsch ten Beifall. »Her mit dem Kerl, wir klopfen ihn weich!«, rief ein Knecht. »Ich reiß ihn in Stücke!«
    Ein anderer hielt ihn am Hemd fest, mit der freien Hand stürzte er den Inhalt seines Bechers herunter. »Lass ihn, so eine Predigt bekommt man nicht jeden Sonntag!«
    »Wollt ihr in der Schenke hocken, bis euch die Engel zum ewigen Requiem singen Gott sei mir Saufkumpan gnädig? « Hieronymus geriet nun richtig in Fahrt: »Statt in Sack und Asche zu gehen, habt ihr die Säckel voll Asche! Wie soll der Krieg aufhören, wenn ihr statt auf Knien in der Kirche auf den Bäuchen in der Taverne liegt? Diebes gesindel allesamt, Betrüger, Lumpenpack! Wundert ihr euch, dass ihr in der Kälte dampft? Es ist die Glut der Hölle, die euch wärmt!«
    Während Anna vorsichtshalber den Kopf einzog und das Ge witter abzuwarten beschloss, schlug der Ritter mit der flachen Klinge auf den Tisch. »Das genügt!«
    Wieein zu breit geratener Erzengel Michael, der gegen die Mächte der Finsternis kämpfte, fuhr Hieronymus herum. »Glaubst du dich erhaben, weil du von edler Geburt bist? Selbst die Stärks ten fällt das Schicksal, und warum? Ob peccata vestra – wegen eu rer Sauereien, gottloses Pack!«
    Johlend stürzten sich die Burschen auf ihn. Hieronymus raffte seine zweihundert Pfund Körpergewicht zusammen und rannte mit erstaunlicher Beweglichkeit zur Tür. Die Männer wollten ihm nach und drängten sich derart, dass keiner mehr hinauskam.
    Anna fing einen abfälligen Blick von Raoul auf. Sie wusste, was er dachte: Possenreißerin! Zornig befreite sie sich aus zahllosen Männerarmen und sprang wieder auf den Tisch. Jemand brüllte »Ruhe!«, was Hieronymus Gelegenheit zur Flucht gab. Zischend brachten die Leute einander wieder zum Schweigen. Mit funkeln den Augen sah sie in die Runde. Das war noch lange nicht alles, wozu sie fähig war.
    Es wurde still. Anna spürte die Erwartung, die ihr entgegen schlug, und dann eine plötzliche Vertrautheit mit diesem Raum, diesen Menschen und ihrem Körper. Sie verstand selbst nicht, was sie überfiel. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich nicht dagegen wehren können. Aber sie wusste, was sie singen musste und dass sie es jetzt tun musste. Sanft, aber unwiderstehlich drängte es nach oben. Sie hatte keine Wahl.
    Raoul hatte sich zum Gehen gewandt, als es auf einmal totenstill wurde. Er blieb stehen. Annas helle Stimme webte sich in diese Stille. » In trutina mentis dubia fluctuant contraria …«
    Langsam drehte er sich um. Er hatte sie oft singen gehört, aber das hier hatte nichts damit zu tun. Sie stand ohne eine besondere Geste da, als sei sie allein – allein mit ihren Zweifeln. Nur ein kaum hörbares Beben verriet das mühsam beherrschte Feuer. Die Stimme schwoll an und nahm sich zurück zu einer Sinnlichkeit, die ihm den Atem raubte. »… lascivus amor et pudicitia .«
    Raoulschob einen Laiendiener beiseite, um besser sehen zu können. Annas flammend rotes Haar fiel ihr wie goldene Fäden ins Gesicht. Sie berührten ihre Lippen und bewegten sich vom Hauch ihres Atems, als sie fortfuhr:
    » Sed eligo, quod video, collum iugo praebeo …« Das weiche Licht ließ ihr Haar wie flüssiges Feuer glänzen und ihre Haut schim mern. Raoul hatte viele schöne Frauen gekannt und einige davon besessen. Aber jetzt schien es ihm, als sei keine von ihnen je so schön gewesen wie dieses Mädchen.
    »… ad iugum tamen suave transeo .« Ihre Lippen kräuselten sich, wie um die Süße der Worte zu schmecken. Und sie goss dieses süße Gift auch in seine Seele.
    Raoul wandte sich um und stürzte aus der Taverne. Achtlos rempelte er die Menschen an, als sei er auf der Flucht. Sein Körper glühte. Er hatte das Gefühl, jeder weitere Augenblick könnte ihn vernichten.
    Wenig später stand er mit bloßem Oberkörper im Hof hinter dem Hospiz. Schattenhaft waren die Berge noch zu erkennen, und durch die Eisengitter der Seitenpforte warf der Mond ein unstetes Muster auf seine Haut. Die eisige Luft schnitt in seine Lunge, sein Schwert zerschnitt die klirrende Kälte. Er kämpfte sich durch die Übungsreihe, als wolle er seine eigenen Gedanken bekämpfen. Mit aller Kraft hieb er schräg auf- und abwärts, trieb seinen unsichtba ren Gegner vor sich her. Sein Schatten tanzte auf dem gestampften Boden, er verfolgte ihn, stach zu und riss den

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