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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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anderen Reiter gerichtet, er hatte nichts bemerkt. Nur vereinzelt brüllten die Leute Beschimpfungen.
    Anna fand die Plattform für die Spielleute und kletterte hinauf.
    »He!«, rief ein hagerer Kerl mit weißblondem kurzgeschore nem Haar. Das bunte Flickengewand ließ seine hellen Augen farb los erscheinen. »Runter da, du hast hier nichts zu suchen!«
    Annaverpasste ihm einen Rippenstoß. »Mein Liebhaber kämpft da unten«, gab sie zurück. In den Jahren hatte sie gelernt, wo die Schwachstellen ihrer männlichen Rivalen lagen und wie man diese mitleidlos ausnutzte. »Er will sich von mir bewundern las sen, und er kann ziemlich grob werden, wenn er seinen Willen nicht bekommt.«
    Wie erwartet hatte der Bursche wenig Lust, sich mit einem tur niergestählten Haudegen zu messen. Er knirschte etwas, das sie so genau lieber nicht verstehen wollte, aber er machte Platz. Eva, die schon oben stand, grinste.
    Raouls Auftritt hatte ihm bereits die ersten Bewunderer einge bracht. Anna hörte die Bauern unten anerkennende Rufe aussto ßen. Lena stieß ihren Peter an.
    »Schlechter als Herr Ulrich wäre der auch nicht.«
    Auch die Damen auf der Tribüne über ihr tuschelten:
    »Er hat eine gute Haltung, aber er ist rücksichtslos wie eine Schlange.«
    »Ach was, ein Mann muss schön sein und eine Frau beglücken können. Für Rücksicht sind die Damen zuständig.«
    Lautes Lachen schallte von der Tribüne. Raoul hatte den letz ten Satz offenbar gehört, er warf den Damen ein paar Worte zu, die sie noch mehr zum Lachen reizten. Dann verneigte er sich ele gant und galoppierte in die Mitte des Platzes. Anna bemerkte, wie seine Augen unter dem Visier belustigt blitzten.
    »Meinen Glückwunsch«, grinste Eva. »Du hast dir den begehr testen Kämpfer von allen geschnappt. Da oben stehen jede Menge standesgemäße Bräute. Pass auf ihn auf!«
    Anna lachte. Ulrich war ihr in der Rüstung immer fremd er schienen, ein Ritter, der weit über einem einfachen Mädchen stand. Aber jetzt dachte sie daran, was Raoul ihr gestern zugeflüs tert hatte, während sie sich liebten. Nein, sie hatte keine Angst. Unwillkürlichsuchte Raouls Blick Anna, die jetzt ganz vorn auf der Tribüne der Spielleute stand. Unter dem Helm lächelte er ihr zu und hob die Lanze. Während Knappen die Schutzzonen für das Schein gefecht abgrenzten, richtete er seine Aufmerksamkeit auf seine Auf gabe: Es musste ihm gelingen, Ulrich in seinen Schutzraum zu zie hen. Pferd und Rüstung eines Gefangenen gehörten dem Sieger.
    Schon vor der Messe waren sie in Mannschaften eingeteilt worden: Jeweils vier Ritter hatten sich an den beiden Schmalsei ten in einer Reihe aufgestellt. Raoul sah nach den anderen und überprüfte den Sitz seines Visiers. Der Turniervogt ritt die Reihe ab und zügelte sein Pferd an der Seite. Die Schnur, welche die geg nerischen Parteien trennte, senkte sich.
    » Laisseir les aler !«, rief der Turniervogt.
    Raouls Rappe schnaubte, als er ihm die Sporen gab. Die kraft vollen Sprünge des warmen Pferdeleibs wurden schneller, die Zu schauer verschwammen zu bunten Streifen, ihr Johlen und ihre an feuernden Rufe wurden undeutlich. Wie ein Wald donnerten die mit farbigen Bändern umwickelten Lanzen auf ihn zu. In der drangvollen Enge durch die anderen Reiter rechts und links gab es kein Ausweichen. Raoul roch das Eisen der Kettenhemden, Waf fenröcke schlugen flatternd um die Beine. Direkt vor sich erkannte er das schwarzweiße Waffenhemd und den glänzenden Helm sei nes Feindes.
    Ulrich hielt direkt auf ihn zu. Die Lanze auf seinem Arm zeigte leicht nach oben, als wollte er gleich hier zum tödlichen Stoß ins Visier ansetzen. Raoul hielt die eigene Lanze auf den Schild seines Gegners gerichtet und sah ihm kalt entgegen.
    Das Brüllen der Reiter und das Johlen der Zuschauer vermischten sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm, der es schwermachte, aufmerksam zu bleiben. Durch den Schlitz seines Visiers sah Raoul den schwarzsilbernen Reiter auf sich zukommen. Die Pferde-decke mit dem gezackten Muster reichte fast bis zum Boden und ließ den ohnehin riesigen Schimmel noch wuchtiger erscheinen, kaumnoch wie ein Pferd. Raoul sah das stumpfe, mit dem Turnierkrönlein versehene Lanzenende auf sein Gesicht zeigen. Obwohl Turnierlanzen keine Spitzen, sondern diesen stumpfen Eisenknauf hatten, wusste er, dass man auch so einen Mann tödlich verwunden konnte. Im letzten Moment senkte Ulrich die Lanze und zielte auf den Schild.
    Krachend trafen die Reihen aufeinander.

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