Die Gauklerin von Kaltenberg
»Komm her, Anna.«
Sie warf den Kopf zurück. »Wozu? Selbst wenn du mir die Ehe versprechen würdest, ich wäre lieber Raouls Hure als deine Frau.«
Er lachte hart, und sie spürte, dass sie ihn verletzt hatte. »Die Ehe versprechen! Einer davongelaufenen Leibeigenen!« Er gab seinen Männern ein Zeichen. Zwei von ihnen packten Annas Arme und zogen sie herüber. Erschrocken schrie sie auf. Sie wehrte sich wie wild, kratzte und biss, aber vergeblich. Die Knechte aus den anderen Zelten sahen zwar nach ihnen, und der eine oder andere kam auch herüber. Anna wusste jedoch, dass ihr niemand helfen würde. Dem Buchstaben nach war Ulrich im Recht. Er war ihr Herr.
Ulrich trat zu Anna und hob ihr Kinn. Seine Blicke glitten über ihr ungebändigtes Haar und das gerötete Gesicht. Damals hatte er es geliebt, wenn sie ihr Haar offen trug. Anna bemühte sich, ihm nicht zu zeigen, dass sie Angst hatte. Hoch aufgerichtet sah sie an ihm vorbei. Ganz gleich was er tun würde, er würde sie nie wieder besitzen.
»Sie hat ein Buch bei sich. Nehmt es mit auf die Burg.« Er lä chelte kalt. »Ich fürchte, ich kann keine Rücksicht darauf nehmen, dass du damit deine Unschuld beweisen könntest. Der König wird sich erkenntlich zeigen, wenn ich es ihm gebe.«
Und wenn er sich nebenbei noch an der Bauernmagd rächen konnte, die es gewagt hatte, ihm die Stirn zu bieten, umso besser. Annawurde klar, wie sehr ihn seine neue Macht verändert hatte. Oder war es schon immer in ihm gewesen? Der brutale Krieg der letzten Jahre hatte auch aus anständigeren Menschen grausame Tiere gemacht. Aber ewig, dachte sie, würden sich selbst seine Bauern das nicht gefallen lassen.
»Wenn es darum geht, spart euch die Mühe«, stieß sie verächt lich hervor. Mit einer ruckartigen Bewegung befreite sie sich aus Ulrichs Griff. Sie zeigte auf den Hocker hinten im Zelt, über den ein Fell gebreitet war. »Das Buch ist dort, unter dem Fell.«
Ulrich nickte seinem Waffenknecht zu, und der Mann förderte ein in dunkles Leder gebundenes Buch zutage. Der Rohrbacher wog es in der Hand und blätterte darin. »Es sieht nicht besonders wertvoll aus.«
Anna zuckte die Achseln. »Ich verstehe nichts davon. Und jetzt lass mich gehen!«
Ulrich lachte leise. Früher einmal hatte sie dieses Lachen ge liebt, aber jetzt jagte es ihr einen Schauer über den Rücken.
»Bringt sie hinauf zur Burg«, befahl er. »Sobald der Turnier friede endet, werden wir das Urteil an der Hexe vollstrecken: Ich werde ihr die Nase abschneiden lassen wie einer Hure und sie dann verbrennen.«
17
»Wo ist dein Mann? «
Lena, die in der kahlen Scheune im Erdgeschoss hockte und Hopfen verlas, sah dem kräftigen, sonst so wortkargen Burg knecht Alois entgegen. Zu ihren Füßen spielte ihre Schwester, die vierjährige Klara, mit einer Holzpuppe. Der bittere, aromati sche Duft des Hopfens erfüllte den ganzen Raum, und im Halb dunkel waren die Dolden zu luftigen Bergen aufgetürmt. Die an deren Frauen, die gerade Frucht und Kraut getrennt und dabei gelacht hatten, verstummten. Mit dem üblichen Widerwillen der einfachen Leute gegenüber den Burgknechten erwiderte Lena: »Woher soll ich das wissen? Für mich muss er keine Frondienste leisten, bis ihm der Rücken zerspringt.«
»Willst du frech werden, Frau?«, fuhr er sie an. Sein rundes Ge sicht mit den schwarzen Augen wurde noch röter. Ein Junge, der zwei panisch gackernde Hühner kopfunter vorbeischleppte, zog den Kopf ein. Alois war bekannt dafür, dass er das, was er von sei nem Herrn bekam, direkt an die weitergab, die unter ihm standen. Der Burgknecht wies auf Klara. »Die Kleine sollte sich doch um die Gänse kümmern, was lungert sie hier herum? Vorhin hab ich die Viecher schon wieder im Gemüsegarten gesehen.«
Lena flüsterte Klara etwas zu, und diese war sichtlich dankbar, sich zu den Gänsen trollen zu dürfen. Erleichtert sah Lena den Männern entgegen, die aus dem Kuhstall herüberkamen.
»Der Herr sagt, ihr sollt heute bis zum Abend bleiben«, emp fing sie Alois. »Morgen braucht er euch auch noch, der Zaun am Turnierplatz ist zusammengebrochen«, sagte er. »Und bringt noch ein paar Leute mit.«
»DerBruder meiner Frau ist krank«, erwiderte Peter. »Er hat Fieber und kann sich kaum bewegen. Er kann das Haus und un sere Tiere nicht allein versorgen.«
»Was schert mich das?«, erwiderte Alois. »Der Herr braucht dich, also tu, was dir gesagt wird!« Er bemerkte, dass er sein Ge genüber vom Frühstück weggeholt hatte:
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