Die Gauklerin von Kaltenberg
Gabeln und Stangen nach. Sogar Sebastian warf seine Riesengestalt in die Bresche. Sein schwarzer Bartverzerrte sich, und er spannte seine Muskelmassen an. Langsam und quietschend hob sich das schwere Gitter.
Darunter brachen die hungrigen Bauern brüllend in die Burg ein. Erschrocken wichen die Wachposten zurück. Mit Stangen und Knüppeln und Heugabeln fielen die Menschen über ihre Pei niger her. Tausendmal waren sie von ihnen gedemütigt und miss handelt worden, jetzt machte sich die angestaute Wut Luft.
Rücksichtslos knüppelten sie die Waffenknechte nieder, rannten in Küche und Vorratskammern und warfen alles durchein ander. Handwerkszeug flog aus den Buden, Pfosten wurden umgerissen, und die hölzernen Vorbauten standen schief. Die Verzweiflung gab den Leuten Kraft, sie plünderten die Vorratskammern, schleppten ins Freie, was nicht niet- und nagelfest war. Selbst die alte Gertraut schlug auf einen am Boden liegenden Waffenknecht ein. Anna raffte einen Knüppel auf und drosch ihn dem Mann ins Gesicht, der sie vorhin im Rittersaal bedroht hatte. Der Regen war schwä cher geworden. Wind zerrte an ihr und jagte ihr Kälteschauer über den durchnässten Rücken. Die vom Zerren an der Kette aufge schürften Finger brannten, aber ihre Wangen glühten. Das Gebrüll und die Bauern, die außer Rand und Band auf die Waffenknechte einschlugen, steckten sie an, rissen sie einfach mit. Alles, was sie je an Demütigungen erlebt hatte, brach aus ihr heraus, ihre schrillen Schreie mischten sich in die der anderen.
Überall wieherten Pferde, galoppierten panisch durch den Hof und schnaubten und stiegen. Die Hunde bellten und zerrten an ihren Ketten. Es roch nach ausgelaufenem Met, nach Bier und Wein und Sauerkraut. Überall auf dem Boden verteilte sich das glitschige Kraut aus den zerschlagenen Fässern, und Met und Re gen bildeten Pfützen.
Der Hundeführer hatte die drei riesigen zottigen Hunde losge macht. Knurrend rannten sie auf die Bauern los. Mit Knüppeln setzten sich die Menschen zur Wehr, droschen in ihrer Verzweif lung auf alles ein, was sie anzugreifen schien.
Zweijunge Männer waren in die Schmiede gerannt, um sich mit eisernem Schlagwerkzeug zu versorgen. Anna schrie ihnen eine Warnung nach. Tausendmal hatte ihr Vater ihr eingeschärft, die Glut in der Schmiede immer gut zu bedecken. Das Kleid klebte nass und kalt an ihren Beinen und behinderte sie. Und zu spät – in der Hast hatte einer den Bock mit Schwertern umgerissen, das Ge stell stürzte in die Esse.
Sie sah die Funken aufstieben. Unter dem Regendach waren die alten Pfosten und das Flechtwerk trocken wie Zunder. Es dau erte nur einen Augenblick, bis sie Feuer fingen.
»Feuer!«, schrie Anna. Ihre Stimme überschlug sich. Sie rannte zum Brunnen und versuchte mit aller Kraft den Wassereimer hochzuwinden. Sie dachte an Raoul, der um die Burg kämpfte, dann an Ulrich. Panische Angst überfiel sie plötzlich. Ulrich würde ihnen allen Hände und Füße abhacken lassen, wenn Kaltenberg niederbrannte.
Niemand half ihr. Knechte und Mägde liefen wie orientierungs lose Hühner durcheinander. Die meisten rannten einfach nur zum Tor, um sich dort schutzsuchend niederzukauern. Kopflos ver suchte jeder die eigene Haut zu retten. Der Regen hatte aufge hört, und der starke, böige Wind fachte die Glut immer weiter an. Über ihnen schlugen Qualm und Flammen aus dem ersten Holz gebäude, die Handwerker retteten ihr Werkzeug aus den Buden, ohne sich um die Burg zu kümmern. Nur einige wenige Frauen sprangen ihr endlich bei, doch ihre Kräfte würden niemals rei chen. Der Sturm zerrte an Annas Haar, schwarzer Qualm zeich nete schmierige Streifen auf ihr Gesicht, und sie schwitzte.
Auch aus dem Hauptgebäude kamen die Diener gerannt, hin ter ihnen lief die Königin ins Freie, einen Mantel über das Unter kleid geworfen. Mit ihren Damen versuchte sie zwischen den Kämpfenden hindurch das Tor zu erreichen. Die Wachleute er kannten sie und schoben sie ins Freie. Hinter ihnen rannte ein Knecht zum Turnierplatz und brüllte: »Feuer! Die Burg brennt!«
Überihr qualmten die Holzbauten, der beißende Geruch ließ Anna husten. Sie schlug den Ärmel über Nase und Mund und duckte sich unter einem brennenden Scheit, das vom Dach stürzte. Dunkler Qualm wehte über den Hof und ließ die Bilder undeutlich werden.
Fliehende Pferde galoppierten ziellos durch den Hof, eines raste direkt auf sie zu. Es bemerkte sie, scheute und schleuderte sie zur Seite. Anna blieb die Luft
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