Die Gauklerin von Kaltenberg
weg. Unter ihren Händen spürte sie die kalte Feuchtigkeit des zerstampften Bodens. Sie schmeckte Blut, wahrscheinlich hatte sie sich auf die Zunge gebissen. Benommen blieb sie liegen.
Ihr wurde klar, dass sie zerstampft würde, wenn sie liegen blieb. Sie musste hochkommen, auch wenn ihr schwindelte und sich al les vor ihren Augen drehte. Stöhnend kam sie auf die Knie. Ihr Kleid war schmutzig, ein glühender Hauch streifte ihr Gesicht, sie roch verbranntes Haar und begriff, dass es ihr eigenes war.
Sie raffte ein Schwert auf, das am Boden lag, und richtete sich auf. Vor ihr stand Ulrich.
20
Wie von Sinnen war Raoul zur Burg hinaufgaloppiert, nachdem ihm Steffen außer Atem von Annas Verhaftung erzählt hatte. Im Hof herrschte ein wildes Getümmel. Ein paar Diener versuchten mit Wassereimern gegen das Feuer anzukämpfen und bildeten eine Kette. Aber die meisten rannten noch immer kreischend und orientierungslos hin und her. Raoul glitt aus dem Sattel, packte den erstbesten Jungen am Kragen und brüllte: »Wo ist Anna?«
Der Bursche wies auf den Palas. Das Dach hatte schon Feuer ge fangen, die dünnen Wände aus Lehm und Flechtwerk und die höl zerne Galerie brannten lichterloh. »Oben im Rittersaal.«
Raoul riss das Schwert hoch und verschaffte sich Platz. Beim Anblick des gepanzerten Ritters im unbekannten rotgoldenen Waffenhemd rannten die Menschen schreiend auseinander. Er kümmerte sich nicht darum, nur die furchtbare Angst, zu spät zu kommen, beherrschte ihn. Er erreichte den Palas, zerrte einen Zip fel seines flatternden Ärmels vor Mund und Nase und kämpfte sich durch Feuer und Qualm die Treppe hinauf.
Unter seinen Füßen schwelten die Bohlen im Oberstock. Flam men züngelten nach dem rotgoldenen Waffenhemd. Die glühende Hitze und der beißende Qualm nahmen ihm den Atem, und er hustete qualvoll. Wie durch ein Wunder war der Rittersaal noch nicht vom Feuer erreicht worden. Aber die Tür stand offen.
Raoul stieß sie mit dem Schwert zur Seite und stand keuchend im Eingang. Der Raum war leer.
In hilfloser Wut schlug er das Schwert gegen die Wand. »An na!«, brüllte er verzweifelt. »Anna!«
Imersten Moment war Anna erschrocken, als sie Ulrichs schwar zes Waffenhemd bemerkte. Hatte er Raoul überwältigt? Dann fiel ihr ein, dass er sein schwarzweißes Hemd zerrissen hatte. Beim näheren Hinsehen war das, was er jetzt trug, auch nicht schwarz, sondern dunkelbraun – vielleicht ein altes, das er sonst nie be nutzte. Das blanke Schwert in der Hand, kam er langsam auf sie zu.
»Bist du vom Turnierplatz geflohen?«, schrie sie ihm durch die tosenden Flammen entgegen. Rechts von ihr brannten schon fast alle Buden, auch die Außentreppe des Palas loderte lichterloh. Über ihr glühte die Galerie, und sie wich bis zur Burgmauer zu rück. Starke Düfte nach Met und Kraut schlugen ihr auf die qualm schwere Lunge. Noch immer polterten Fässer über den Hof, bei nahe wäre sie über eines gestolpert.
»Raoul kann ich noch früh genug zur Hölle schicken«, erwi derte Ulrich. Seine Stimme klang dumpf, die Nase war geschwol len und blutig. Aber obwohl um sie noch immer Menschen und Tiere in Panik brüllten, obwohl Waffen klirrten und brennende Balken krachten, verstand sie seine Worte deutlich. »Du hast mich vor meinem Gesinde zum Gespött gemacht, und jetzt zerstörst du alles, was ich mir erkämpft habe.«
Sein Gesicht veränderte sich nicht. Aber sie sah den erbar mungslosen Ausdruck in den früher so undurchschaubaren Au gen. Anna begriff, dass er sie hier und jetzt töten würde. Auf ein mal wurde ihre Kehle eng. Sie hatte Ulrich geliebt, seinetwegen war sie hierher zurückgekommen. Einen Augenblick lang hatte sie das Bedürfnis, auf ihn zuzulaufen und ihn zu bitten, dass alles wieder wie früher wäre. Aber das war unmöglich. Sie liebte Raoul, und selbst wenn Ulrich noch der Mann gewesen wäre, für den sie ihn gehalten hatte, hätte es nichts geändert.
»Wenn du dabei nicht erfolgreicher bist als mit den Carmina, muss ich mir um Raoul keine Sorgen machen«, erwiderte sie. Im Zurückweichen trat sie auf ihr Kleid, es riss mit einem scharfen Geräusch. Verstohlen sah sie über die Schulter. Vielleicht konnte sie Zeitgewinnen und jemand würde ihr zu Hilfe kommen. »Ich habe dich getäuscht, Ulrich: Das, was du bekommen hast, ist ein arabisches Medizinbuch.«
Er kam auf sie zu, und sie hob das Schwert. Der schwere leder umwundene Griff in ihrer Hand gab ihr Sicherheit.
Ulrich lachte und streckte
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