Die Gauklerin von Kaltenberg
die Hand aus.
Anna erinnerte sich, was Raoul ihr beigebracht hatte. Die linke Hand gibt die Wucht, die rechte lenkt sie. Ihre Finger spielten mit dem schartigen Eisen der Kreuzstange, die vom Feuer warm war. Mit aller Kraft zog sie den Griff herauf und ließ die Klinge nach Ulrichs Gesicht schnellen.
Überrascht taumelte er zurück. Von da, wo die Leute wild durcheinanderrannten, rollte ein Sauerkrautfass auf ihn zu und riss ihm die Beine weg. Brüllend vor Wut torkelte Ulrich zur Wand. In diesem Moment brach die brennende Galerie über ihm zusam men.
Mit einem Schrei fuhr Anna zurück. Glühende Hitze brannte auf ihrer Haut und versengte ihr Haar. Unwillkürlich ließ sie das Schwert fallen und hob die Arme, um ihr Gesicht zu schützen. Die schweren Balken donnerten auf Ulrich herunter und schlugen ihn zu Boden. Dachschindeln stürzten herab, ein Funkenregen ging auf ihn nieder. Es krachte ohrenbetäubend, dann tauchte eine Stichflamme alles in gleißendes Licht und zwang sie wieder zu rückzuweichen.
Anna schrie einfach nur ihr Entsetzen heraus. Ihre Stimme überschlug sich, sie starrte auf den brennenden Scheiterhaufen, der Ulrich unter sich begraben hatte. Irgendwo unter den weiß glühenden Stämmen war der Umriss eines menschlichen Körpers noch zu erahnen. Aber wenn ihn die Balken nicht erschlagen hat ten, gingen seine Schreie im Prasseln und Glosen des Feuers un ter. Der Geruch nach verbranntem Fleisch betäubte sie. Niemand konnte ihn aus den Flammen noch befreien.
Die Hitze brachte Anna zu sich. Keuchend fuhr sie sich mit demArm über die verschmierte Wange. Sie musste hier weg, sonst würde sie auch verbrennen!
Qualm verdunkelte den dämmrigen Himmel. Nach Luft rin gend tastete sie sich vor. Vermutlich war es nur dem regnerischen Wetter zu verdanken, dass der Wald nicht längst lichterloh brann te. Verschwommen sah sie zu ihrer Rechten die Umrisse der Bu den. Sie wollte links unter der halb herabgestürzten Galerie zum Brunnen vordringen. Da fiel ein brennender Stützbalken direkt vor ihr quer über den Weg.
Hustend und mit brennenden Augen wich Anna zurück. Ein breites Flammenband trennte sie vom restlichen Hof und dem ret tenden Tor. Sie war eingeschlossen.
Außer sich schrie sie um Hilfe. Wie aus der Ferne hörte sie Rufe. Jemand hatte sie bemerkt und wollte zu ihr reiten, aber sein Pferd scheute vor den hoch auflodernden Flammen zurück. In hilfloser Verzweiflung sah sie ihm nach.
Jenseits des glosenden Bandes tauchte schemenhaft ein rotgol denes Waffenhemd auf.
»Raoul!«, schrie Anna. Ihre Stimme überschlug sich. Wütend entschlossen, sich nicht aufzugeben, lief sie auf das Feuerband zu und versuchte zu ihm zu gelangen.
Die Flammen schlugen hoch, wieder verbrannte ein glühender Hauch ihre Haut. Mit einem Schrei fuhr sie zurück und stürzte. Sie schmeckte Stroh und Erde. Tränen liefen über ihre verschmierten Wangen. Raoul war so nahe, dass sie sich fast berührten, und konnte ihr doch nicht helfen! Ihr ganzer Körper fühlte sich heiß und zerschunden an, und der Qualm erstickte sie fast. Mühsam kam sie wieder hoch.
Der Ritter in Rot und Gold hatte sein Pferd bestiegen. Hinter der flimmernden Hitze des Feuers wirkte der Rappe seltsam un wirklich. Ein trockenes Schluchzen kam aus Annas Kehle. Sie wollte nicht sterben, nicht jetzt, nicht hier, nur wenige Schritte von dem Mann entfernt, den sie liebte!
Raoulließ das schwere Schlachtross steigen. Die rudernden Hufe beschrieben einen Halbkreis in der Luft und kamen wieder zu Boden. Und dann jagte er es direkt auf sie zu.
Schemenhaft sah Anna, wie sich der Rappe auf die Hinterbeine hob. Die Glut züngelte um die flatternde Mähne. Auf dem Panzer des Reiters schimmerte das Feuer, Lichtreflexe tanzten über das kupferbeschlagene Geschirr. Wie von den Flammen ausgespien, setzte der Hengst durch das Inferno.
Raouls abgekämpftes Gesicht war erhitzt und rußverschmiert, ein Geruch nach versengtem Pferdehaar umgab ihn.
»Du bist ja verrückt!«, schrie sie ihn an. Tränen der Erleichte rung liefen ihr übers Gesicht.
Wortlos reichte er ihr den Arm herab und zog sie hinter sich aufs Pferd. Beinahe hätte sie geschrien, so heiß war das Ketten hemd. Die Hitze darunter musste mörderisch sein. Anna presste sich an den zerfetzten rotgoldenen Waffenrock. Raoul drückte ihre Hände fest auf seinen Bauch, um sich zu vergewissern, dass sie sicher saß. Sie fühlte das Blut aus kleineren Schnittwunden, die sicheren Bewegungen seiner Muskeln. Und
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