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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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hatte.
    Trotz allem wäre es ihr lieber gewesen, er hätte vergessen, was er für sie empfunden hatte. Sie wusste, wie jäh er zornig werden konnte, wenn seine Gefühle verletzt wurden. Im Kohlenbecken schwelte noch Glut, und einen Augenblick überlegte sie, ob sie Feuer legen sollte. Aber die Wandtäfelung war alt und zundertro cken, und der Raum schien ihr kleiner als früher. Sie wäre in kür zester Zeit erstickt. Außerdem würde niemand sein Leben wagen, um sie zu retten. Vom Turnierplatz her hörte sie die Fanfare, und sehnsüchtig sah sie durchs Fenster. Sie hoffte, dass Raoul sein Ziel erreichte. Die Fanfare klang ungewöhnlich laut, es musste ein star ker Westwind wehen. Tiefhängende Wolken verdunkelten den Himmel über Kaltenberg.
    Unten im Hof hörte sie jemanden rufen.
    »Die Bauern, am Herrenhof!«, brüllte ein Junge, der außer Atem über die Brücke gerannt kam. Beunruhigt beobachtete Anna, wie die Waffenknechte zur Rüstkammer beim Tor liefen. Das, worauf sie gehofft hatte, war nicht eingetroffen – niemand war wegen des Buches gekommen. Entschlossen lief Anna zur Tür und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. Vergeblich. In hilfloser Wut trom melte sie weiter, bis sie verzweifelt an der Tür zu Boden sank und die Stirn gegen das Holz presste.
    Gotterbarme sich dieser zugigen Burgen, dachte Beatrix, die im seidenen Unterkleid in ihrem Bett lag. Das mit Pergament ver schlossene Fenster ließ kaum Licht herein. Aber noch immer strich ein kühler Windhauch über ihr von blonden Zöpfen ge rahmtes Gesicht. Ihr Blick fiel auf das Buch auf der Truhe. Heute Morgen hatte Ulrich von Rohrbach es ihrem Gemahl überreicht: die Carmina, nach denen Ludwig kürzlich gefragt hatte. Sie wun derte sich, wo er die Handschrift so schnell aufgetrieben hatte. Der Ehrgeiz dieses Mannes schien keine Grenzen zu kennen.
    » Ego te absolvo «, murmelte der rotgesichtige Kaplan und schlug das Kreuz über sie. In ihrer Langeweile war ihr nichts Besseres eingefallen, als zu beichten. Vielleicht wäre sie doch besser zum Turnier gegangen, aber Ludwig hatte besorgt darauf bestanden, dass sie sich ausruhte.
    »Vater, seid so gut und reicht mir das Buch herüber«, bat sie Ul richs Kaplan.
    Der junge Mann gehorchte und reichte ihr das in abgegriffenes Leder gebundene Büchlein. Es sah aus, als wäre es oft benutzt worden, dachte sie, das Pergament war gerissen und fleckig. Sie sah genauer hin und stieß einen überraschten Laut aus.
    Der Kaplan, der schleunigst von ihrem Bett aufgestanden und zur offenen Tür geeilt war, blieb stehen. »Ist Euch nicht gut?«
    Ohne eine Miene zu verziehen, blickte die Königin auf. »Seid Ihr sicher, dass Herr Ulrich dem König dieses Buch gegeben hat?«
    Der Geistliche bejahte. »Ich stand ja daneben.«
    Sie ließ das Buch vor sich aufs Bett sinken und lachte leise. »Nun, dann sind es etwas merkwürdige Carmina«, meinte sie. Sie reichte es ihm, und der Kaplan sah hinein.
    Wenn Beatrix je einen Geistlichen hätte puterrot anlaufen sehen wollen, hätte sie jetzt vollends zufrieden sein können.
    Der Kaplan riss ihr das Buch förmlich aus der Hand und färbte sich noch eine Spur dunkler. Noch etwas mehr, dachte Beatrix, und er brauchte einen Arzt. »Das ist doch …«
    Ersah auf das engbeschriebene Blatt. Die Illustration war ein fach und zeigte einen Mann und eine Frau – nackt, in schamloser Umarmung. Die Schriftzeichen waren gewunden wie Ornamente aus Punkten und Bögen. Keine Minuskel der Welt sah so aus. Kein Zweifel – es war Arabisch.
    Überrascht blickte Beatrix ihm nach, als er das Buch packte und so schnell es sein würdevolles Gewand erlaubte, hinaus stürzte.
    Anna hatte es schon nicht mehr zu hoffen gewagt, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Keuchend sprang sie auf die Beine.
    Der Kaplan stand im Eingang, begleitet von einem grauhaa rigen Waffenknecht. Der Knecht brachte das vorspringende Kinn mit den grauen Stoppeln dicht an ihr Gesicht, dass ihr sein nach Knoblauch und Wein stinkender Atem in die Nase stieg. Er hielt ihr das Buch vors Gesicht und schrie sie an: »Verdammte Gaukle rin! Der Kaplan sagt, du hast uns betrogen. Das ist nicht das Buch, das Herr Ulrich wollte.«
    Für einen Augenblick lähmte sie die natürliche Angst der ein fachen Leute vor einem Bewaffneten. Dann begann Anna zu la chen. Das Triumphgefühl war so stark, dass sie den Kopf in den Nacken warf und laut loslachte. Es schüttelte sie förmlich, sie machte sich mit einem Schrei Luft und platzte wieder

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