Die Gauklerin von Kaltenberg
die vertraute Wärme, die sie nie wieder aufgeben wollte. Die Flammenwand kam auf sie zu, der gelbe Schein wurde heller. Ihre Haut glühte, sie roch ver sengtes Haar und Stoff. Flammen und Qualm umgaben sie, für einen Moment verschwamm alles im gelben Rauch. Dann schlug ihr kalte Luft entgegen und ließ ihre Lunge schmerzen.
WenigeTage späte r
Es dauerte Stunden, bis die schlimmsten Brände auf der Burg ge löscht waren, und selbst danach schwelte es noch. Bis sie wieder bewohnbar gemacht werden konnte, würden Wochen vergehen, vielleicht der ganze Winter. Ulrich hatte alles, was er besaß, in das Turnier gesteckt. Es war für ihn buchstäblich um Leben und Tod gegangen. Beunruhigt machte sich Anna klar, dass er nicht der Einzige war. Der Krieg veränderte die Menschen. Bald würde es viele Männer wie ihn geben, die für Ruhm und Ehre alles opfer ten – selbst die, die sie liebten.
Während sie Raoul betrachtete, fragte sie sich, ob in jeder Er füllung auch ein Verzicht lag. Auf das Schwert gestützt, kniete er vor dem Steinkreuz am Weg nahe Kaltenberg. Entfernt erinner ten die trompetenförmigen Balken an das Kreuz der Deutsch herren. Hier, wo die Familienfehde durch jenen unseligen Mord ihren Anfang genommen hatte, hatte er seinen Schwur erfüllt: Er hatte das Sühnekreuz aufgestellt. Seine Knechte, die es im Boden verankert hatten, waren zurückgetreten und warteten ernst und schweigsam. Der rotgoldene Waffenrock war noch ungewohnt an ihm. Die warmen Farben gaben seinem dunklen Haar und den Augen einen braunen Glanz. Anna hätte ihn ständig ansehen kön nen. Bald würde sie wieder bei ihm sein, redete sie sich zu, aber es fiel ihr trotzdem unendlich schwer zu gehen.
Nach dem, was geschehen war, wusste sie, dass sie die Carmina an einen sicheren Ort bringen musste. Einen Ort, wo sie nicht zerstört werden konnten. Wenn sie das Buch in der Hand hielt, das einzige seiner Art, begriff sie, wie zerbrechlich Erinnerung war. Bücher waren alles, was noch in Jahrhunderten von ihnen blei benwürde. Aber sie wurden geschrieben von Priestern und Hofchronisten, sie erzählten von Heiligen und Königen. Wenn die Carmina verlorengingen, würde vielleicht niemand je erfahren, was die einfachen Leute bewegt hatte. Also hatte Anna König Ludwig gebeten, die Handschrift nach Benediktbeuern bringen zu dürfen. Dort gab es eine der größten Bibliotheken des Landes. Im Kloster am Rande des Moores würde sie sicher sein, bis ihre Zeit kam.
Raoul kam herüber. Er zog sie an sich und streichelte ihre Wange und ihre Lippen. Das vertraute, tiefe Glücksgefühl ließ sie empfinden, wie kostbar jeder gemeinsame Augenblick war. »Nie mand kann uns verbieten, uns zu lieben, nicht wahr?«, fragte sie leise.
Der König hatte ihn als Burgvogt in Kaltenberg eingesetzt, nach dem Tod Hermanns von Rohrbach würde er ihn beerben. Lange würde Raoul nicht warten müssen: Von der Hand Gottes gestreift, dämmerte der Alte auf seiner Stammburg dahin, wo sich Jutha um ihn bemühte. Die wenigen Jahre, die ihm noch blieben, würden Raoul Zeit geben – Zeit, Handwerker anzuwerben, die Burg wie der aufzubauen und die Vergangenheit zu vergessen.
»Vielleicht ist es besser, dass ich einige Zeit weg sein werde«, sagte Anna. Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Stimme schwankte. »Auch wenn mich der König von der Hexerei freigesprochen hat, dein Vater wird Pläne mit dir haben. Es kann eine einfache Frau den Kopf kosten, wenn sie solchen Plänen im Weg steht.« Als Burgvogt konnte Raoul keine ehrlose Gauklerin heiraten. Irgend wann würde er eine standesgemäße Ehe eingehen müssen, und ihr Platz konnte nur im Schatten sein. Sie würde herumziehen und wann immer sie wiederkam, würden sie sich lieben. Auf mehr durfte sie nicht hoffen. Heftig umarmte sie ihn und stieß erstickt hervor: »Schwöre mir, dass ich deine Geliebte bleibe!«
Raoul küsste sie und befreite sich sanft. »Es wird Morgen«, sagte er. »Du musst aufbrechen.«
Annaschluckte ihre Enttäuschung hinunter. Insgeheim hatte sie bis zuletzt gehofft, dass er sie bitten würde zu bleiben. Sie sah über die abgeernteten Felder, hinter denen sich die Burg erhob. Was auch geschah, dieser Ort würde immer ihr Zuhause bleiben. Rot golden hob sich der Waldrand von den reifüberzogenen Wiesen ab. Das erste Sonnenlicht brach durch den zarten Morgendunst und glitzerte auf dem frostig überhauchten Boden. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wenn sie jetzt nicht ging, würde sie es nicht mehr
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