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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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schloss sich um das Ge wand auf Raouls Brust und hielt es fest. Während sie wieder in die Bewusstlosigkeit hinüberglitt, sah sie zwei dunkle Augen auf sich gerichtet.
    Sie kam wieder zu sich, als eine kühle, sehnige Hand auf ihrer Stirn lag. Jemand stützte ihren Rücken und flößte ihr etwas ein. Unwillkürlich schluckte sie und öffnete die Lider. Sie lag in Raouls Armen.
    Sein Haar kräuselte sich leicht von der Nässe. Dämmriges Licht brach durch die Bäume und ließ die Augen unter den dichten Wimpern weicher scheinen. Es waren diese nachtdunklen Augen gewesen, die sie in ihren Fieberträumen immer wieder vor sich gesehen hatte. War dies das Gesicht des Mannes, der ihr Dorf nie dergebrannt hatte?
    Raoul räusperte sich. Er ließ sie auf die Decke am Boden glei ten. Als er aufstand, sah sie, dass der Saum seiner Cotte feucht war. »Wir sind in Sicherheit«, sagte er schroff. Ehe Anna ihre Überra schung überwunden hatte, rief er nach Maimun und verschwand aus ihrem Blickfeld.
    »Er ist kaum einen Moment von deiner Seite gewichen«, sagte Maimun, als er neben ihr niederkniete. »Aber verrate ihm nicht, dass ich es dir erzählt habe. Er würde mich umbringen.« Er half ihr, sich aufzurichten. Sie befanden sich im Wald, es musste Abend sein. Zwischen lichten Bäumen lag ein ungenutzter Kohlenmei ler: Laub und Gras, die ihn bedeckt hatten, waren herabgerutscht, und an manchen Stellen standen verkohlte Äste heraus.
    »Wir sind nicht weit von Kaltenberg«, beantwortete Maimun ihre unausgesprochene Frage. Er wies den Hang hinab, wo sich ein schmaler Weg zwischen den Stämmen verlor. »Dort unten liegt die Burg Geltendorf. Du hast die Natur einer Löwin. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so schnell erholst.«
    Anna kam schwankend auf die Beine. Die Pferde waren an den Vorderbeinengefesselt und suchten im Laub nach Futter. Kein Feuer glomm, doch es gab eine Kuhle, wo vor nicht allzu langer Zeit offenbar eines gebrannt hatte. Darum lagen Decken und Teppiche ausgebreitet. Sie wollte sich setzen, da bemerkte sie die Pilze.
    Ein etwa einen Schritt großer Ring aus braunen Hallimasch, die kaum aus dem Laub ragten. »Das ist ein Hexenring!«, stieß sie hervor.
    Ungerührt holte Maimun den Topf aus der noch warmen Asche. Anna stand am Rand des Rings und kämpfte mit sich. Ver mutlich hatte der Köhler seinen Meiler deshalb verlassen. Nie mand wollte an einem solchen Ort arbeiten. Es war Raoul zuzu trauen, dass er den Platz genau aus diesem Grund gewählt hatte.
    Sie roch die scharf gewürzte Brühe und spürte, wie hungrig sie war. Entschlossen hockte sie sich hin und löffelte gierig die Fleisch stücke heraus. Der Geschmack war fremd und verführerisch, und immer wieder biss sie auf zerstoßene Körner eines Gewürzes, das sie nicht kannte. Es dauerte einige Zeit, bis sie zufrieden seufzend den Löffel weglegte.
    Raoul hatte schweigend gewartet. Jetzt griff er nach der Kup ferkanne und füllte ein dampfendes Gebräu in Becher. »Tee«, er klärte er.
    Anna trank in kleinen Schlucken. Das schwerfällige Gefühl, das sonst beim Aufstehen erst spät aus den Gliedern wich, verflog. Al lerdings beruhigte sie das nicht gerade. Ihre gewohnte Morgen molke hatte zwar keine vergleichbare Wirkung, aber dafür wusste sie wenigstens, was drin war. Forschend beobachtete sie Raoul, der sich wenige Schritte weiter unter einen Baum gesetzt hatte. Sie verstand noch immer nicht, warum ausgerechnet ihr Feind ihr half. »Warum habt Ihr mich gerettet?«
    Die direkte Frage schien ihn zu überraschen. Er lehnte den Kopf gegen den Stamm, so dass sie sein Profil sah. Zweige warfen weiche Schatten auf das glänzend schwarze Haar und die edel ge schwungenenLippen unter dem Bart. Ihr ganzes Leben lang hatte Anna gehört, dass gutes Aussehen ein Zeichen göttlicher Gnade sei. Wieder fragte sie sich, wie jemand, der so schön war, schlecht sein konnte.
    »Ein Fluch bindet zwei Menschen aneinander«, erwiderte Raoul endlich. Seine Stimme klang lauernd, und sie war sich nicht sicher, ob er sie verspottete. »Unauflöslich, mehr als ein Ehever sprechen.«
    Er musste sie verspotten. Fieber oder Hass jagte glühende Schauer durch ihren Körper. Wenn er glaubte, mit ihr spielen zu können, nur weil sie ein einfaches Dorfmädchen war, würde sie ihn enttäuschen!
    »Nach Maurus’ Tod hast du Ulrich die Briefe seines Vaters vor gelesen, nicht wahr?«, fragte Raoul. »Hat er seinem Vater von mir berichtet?«
    Daher die trügerische Freundlichkeit!

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