Die Gauklerin von Kaltenberg
erbarmungslosen Gesichter am Ufer … die Schläge, die Dunkel heit … Anna stöhnte. Sie hatte das Gefühl, die Erinnerungen nicht aushalten zu können.
Maimun flößte ihr mehr ein, und die Panik stumpfte ab. Sie sah sich um. Hinter ihr stieg der Boden an, auf der anderen Seite fiel er sichtlich ab. Offenbar befand sie sich noch am Steilhang des Lechs. Vertrocknete Waldheidelbeeren hingen an den entlaubten Zwei gen. In einer Kuhle brannte ein Feuer, fremdartige Gerätschaften standen daneben, ein kupferner Krug mit langer Tülle. »Was ist das?«, fragte sie, als der Becher leer war.
»Stechapfel, Alraune, Galgant … und der Rest ist mein Ge heimnis«, erwiderte Maimun lächelnd.
»Teufelsapfel?« Die Kirche verdammte den Stechapfel als ma gische Pflanze. Es hieß, er steigere die fleischliche Begierde – auch wenn der Geschmack alles andere als luststeigernd war. Aber Anna war viel zu erschöpft, um noch zu erschrecken.
Maimun ging zum Feuer, um mit seinen bauchigen Flaschen zu hantieren. Sie bemerkte das in dunkles Leder gebundene Buch, das er neben ihr hatte liegen lassen. In ihrem Leben hatte sie viel leicht zwei oder drei Bücher gesehen. Dass jemand eine solche Kostbarkeit einfach herumliegen ließ, befremdete sie. Neugierig schlug sie es auf.
Das Bild verschwamm. Benommen kniff sie die Augen zusammen, dann wurde es klar. Es zeigte einen Mann und eine Frau. Nackt, in schamloser Umarmung. Annas Kopf war dumpf, aber sie war nun vollends überzeugt, in den Händen einer Satanskrea turzu sein. Nur mit des Teufels Hilfe konnte Raoul sie aus dem kochenden Hexenkessel des Lechs gerettet haben.
Hufschlag näherte sich. Jemand lachte und sagte einen Satz in einer fremden Sprache.
»Mein Medizinbuch?«, wiederholte Maimun in Annas Sprache. Sie blickte auf und sah zwei Augenpaare auf sich gerichtet. Ihr Kopf glühte, und sie schob das Buch weg. Mit einem Schlag war sie hellwach.
Raoul warf seinem Diener Mantel und Schwert zu und schwang sich leicht aus dem Sattel. Er trug seinen schwarzen Waffenrock, der ihm bis über die Knie fiel und von dem silberbeschlagenen Gürtel gehalten wurde. Als er vor ihr stehen blieb, spürte sie den angenehmen Duft seines Parfüms. Aber seine eindruckgebietende Erscheinung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sie nur aus einem Grund gerettet haben konnte: um sie in seine Gewalt zu bringen.
»Worauf wartet Ihr noch?« Annas Zunge gehorchte ihr nicht ganz, aber sie war des Spiels müde, das er mit ihr spielte. »Nehmt Euer Schwert und tut es endlich!«
Raoul verzog die Mundwinkel. »Ich töte kein fieberkrankes Mädchen, das nur aus Blutergüssen und eingeschlagenen Zähnen besteht. Selbst wenn es nur die Metze eines Dorfritters ist. Du wirst dich gedulden müssen.«
Etwas in seiner tiefen Stimme fesselte sie. Unwillkürlich fühlte sie mit der Zunge nach ihren Zähnen. Wenigstens hier schien alles unversehrt zu sein. Zornig, dass er es wieder einmal fertig gebracht hatte, sie zu verwirren, entgegnete sie: »Für einen ehr losen Straßenkämpfer habt Ihr ja beinahe Anstand.«
Er maß sie mit einem gefährlichen Blick, unter dem sie zu sammenzuckte. Anna erschrak, wie schwer es ihr fiel, ihren Hass auf ihn zu beherrschen. Doch statt sie an den Haaren hochzuzer ren und zu verprügeln, erwiderte er nur: »Für eine Magd hast du eine scharfe Zunge. Du solltest sie besser hüten.«
Erschien sicher, sein Ziel auch anders zu erreichen. Ein ungu tes Gefühl breitete sich in Anna aus, und sie wies auf den Becher. »Wollt Ihr mich damit gefügig machen?«
»Bei deiner Sturheit bräuchte es dazu schon ein Wunder. Wie ich sehe, zeigt nicht einmal das Opium Wirkung.«
Mit schwerem Kopf sah sie ihn verständnislos an.
»Eine Droge aus meinem Land. Man nimmt es, um die Lust an zufachen …«, er schien sich über ihren entsetzten Blick zu amü sieren, »… aber auch, um zu betäuben oder Schmerzen zu lindern. Es hilft jedenfalls besser als das Wasser aus euren heiligen Quellen.«
Anna sank zurück. Jetzt, da er es erwähnte, spürte sie wieder, dass ihr ganzer Körper eine einzige Prellung war. Sie sah an sich herab und bemerkte, dass sie eine zu große dunkle Cotte trug. Of fenbar hatten die Männer sie ausgezogen und in trockene Kleider gesteckt. Mit einem erschrockenen Laut zog sie den Reitschlitz über den Beinen zusammen.
Raoul schien ihre Gedanken zu erraten. »Meinen Glück wunsch«, spottete er: »So wie du aussiehst, vergeht selbst einem ehrlosen Straßenkämpfer
Weitere Kostenlose Bücher