Die Gauklerin
es so weit war, hatte er Batista die Augen geschlossen, den Spitalsarzt holen lassen und den Knecht gegen ein gutes Handgeld zu Dorothea geschickt, denn er selbst war zu feige gewesen, ihr die Trauerbotschaft zu überbringen. War stattdessen in die Abenddämmerung hinaus, vor die Tore der Stadt, und hatte sich im Tross bei einem Schankwirt mit Starkbier voll gesoffen. Anschließend war er zu dem Platz am Rand des Heerlagers gewankt, wo die Söldner auf ausgebreiteten Mänteln beim Glückspiel ihr letztes Hemd verschacherten, jede Nation für sich, da ein Wallone einem Kroaten, ein Deutscher einemPolen allzu schnell den Schädel einschlagen würde, und hatte sich schließlich bei einem Stellmacher eingefunden, mit dem er binnen zweier Stunden sein bestes Pferd verspielte – jenen jungen kastanienbraunen Hengst, den Mugge ihm vom Schlachtfeld geholt hatte. Der Junge war darüber noch in der Nacht in Tränen ausgebrochen.
Mit wüstem Kopfschmerz hatte sich Matthes dann am nächsten Morgen beim kaiserlichen Stadtkommandanten gemeldet. Da er sich nach de Paradas Verwundung nicht ordnungsgemäß hatte vom Dienst befreien lassen, wurde er nun zum sträflichen Exempel zum Corporal degradiert. Damit war er nichts anderes mehr als ein besserer Fußknecht, ein Doppelsöldner mit lächerlichen zwölf Gulden auf den Monat. Doch Matthes focht das nicht an – wie oft schon war sein Sold gänzlich ausgeblieben. Seinem Reiterbuben hatte er jedoch freigestellt, sich einen neuen Herrn zu suchen, da er ihn über freie Kost hinaus nicht mehr würde entlohnen können. Zu seiner Erleichterung beschloss Mugge zu bleiben, trotz der Enttäuschung, die er ihm zugefügt hatte.
Die Corporalschaft, die man Matthes unterstellt hatte, bestand aus zwei Dutzend Söldnern, die eben erst das Krankenlager verlassen hatten. Etliche von ihnen, das sah Matthes gleich, würden kaum in der Lage sein, länger als eine Stunde am Stück zu marschieren. Schon am folgenden Morgen sollten sie sich vor dem Berger Tor sammeln und sich in das neuformierte Fähnlein der Infanterie einreihen. Das wird ein schönes Schelmenstück geben, hatte Matthes gedacht, als er seine Leute aufmarschieren ließ und ihnen mitteilte, sie hätten zu Piccolominis Regimentern aufzuschließen, um dann die protestantischen Garnisonen südlich des Mains zu sprengen und Bernhard von Weimar hinter die Rheinlinie zu treiben. «Das wird nicht weiter schwer sein», hatte er den Männern Mut zu machen versucht. «Oxenstjernas Bund befindet sich in Auflösung, die Schweden fliehen ohne Sinn und Verstand in alle Richtungen.»
Das alles lag erst wenige Tage zurück, doch Matthes war, als sei eine Ewigkeit seither vergangen. Schweigend ritt er neben seinem Trossbuben durch den dichten Nebel, Mugge auf einem dürren Klepper, er selbst auf seinem hübschen polnischen Fuchs, den er, wie er sich plötzlich entsann, nach seinem Neffen David benannt hatte.
Was er auf dem Weg von Nördlingen hierher zu sehen bekommen hatte, zerriss ihm, der im Zweikampf jeden Gegner schonungslos mit dem Schwert niederzustoßen vermochte, schier das Herz. Nun also war eindeutig Schwaben als Schlachtfeld auserkoren. Die Soldateska hatte das als Kornkammer bisher gnädig geschonte Land mit unglaublichem Furor überrollt. Wohin die Kriegsvölker auch kamen, wurde alles Vieh geschlachtet, wurden die Saatvorräte geraubt, die Siedlungen zerstört. Matthes war, als würden die Fronten immer zahlreicher und unüberschaubarer, ihre eigenen Regimenter waren zersplittert und zerstreut, ihre Gegner, wenn sie sich nicht dem Kampf stellten, vagabundierten und marodierten kreuz und quer durch die Lande. Dazu bevölkerten hungernde Bauern und heimatlose Flüchtlinge die Straßen. Vier seiner Männer hatte er tot am Wegesrand zurücklassen müssen, er konnte nur hoffen, dass der Rest bis zum Abend durchhalten würde.
Das war nicht mehr das Heer, dessen Fahnen er einst Treue geschworen hatte. Unter den neuen Heerführern tat jeder, was ihm beliebte, da wurde nur noch gesoffen und gehurt, gespielt und geprügelt, gebrandschatzt und geplündert.
Wie satt er diese Welt hatte, in der Häuser zu Gräbern wurden und der Tod allerorten durch die leeren Gassen tanzte. Längst hatte er den Krieg zu hassen begonnen, diesen Krieg, der ihm seine beiden einzigen Freunde genommen hatte und in dessen Fängen er klebte wie die Mücke im Spinnennetz. Vermochte die Heilige Kirche nur auf Leichen und Wüsten ihre Triumphe zu feiern? War er hierfür
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