Die Geächteten
Ausflüchte zu machen. »Ich habe mein ungeborenes Kind getötet.«
»Warum hast du das getan?«
»Weil ich Angst hatte.« Und nicht nur vor Aidan, so wurde Hannah plötzlich bewusst, sondern auch vor sich selbst. Er hätte seine Frau ihretwegen niemals verlassen, das hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben. Und der Gedanke daran, ein Kind zur Welt zu bringen und allein aufzuziehen, hatte sie in Schrecken versetzt. Die Wahrheit, die monatelang begraben war, traf Hannah zutiefst: Sie hatte sowohl aus Egoismus als auch aus Liebe so gehandelt.
»Angst? Wovor? Vor der Schande, eine unverheiratete Mutter zu sein?« Der Erleuchter stand auf und näherte sich ihr bedrohlich. Sein Gesicht hatte einen wütenden Ausdruck und war rosa gefleckt. »Wo war deine Furcht vor Gottes Zorn, Frau? Du hast gegen Seine Gesetze verstoßen. Als du deinen Körper durch Unzucht entehrt und dein Kind abgetrieben hast, hast du Gott beschmutzt. Als du das Leben deines unschuldigen Kindes gestohlen hast, hast du etwas genommen, das Gott gehört.« Mittlerweile schrie er die Worte, und Hannahs Gesicht, das ihm zugewandt war, wurde von kleinen Spritzern seiner Spucke getroffen. »Jedes Mal, wenn die Schwäche einer Frau dazu führt, Gottes Befehlen nicht zu gehorchen, lacht Satan. Er hat gelacht, als Eva die verbotene Frucht vom Baum pflückte. Er hat gelacht, als die Große Geißel herrschte, als die Unzucht von Frauen dazu führte, dass die faule Pest sich weiterverbreiten konnte und die Schöße der Frauen unfruchtbar machte. Er hat gelacht, als sie Gott um Kinder anflehten, doch nicht empfangen konnten, oh ja, er hat statt Wein ihre Tränen getrunken. Konntest du hören, wie er lacht, Wanderin, als du die Beine für den Mann gespreizt hast, der dich schwängerte, und als du sie wieder für den Schlachter gespreizt hast, der das kostbare Kind aus deinem Schoß kratzte? Hast du gemerkt, wie Gottes Zorn auf dich herabfuhr?« Er stieß seine Hand mit gespreizten Fingern in Richtung Decke und hielt sie dort einige Sekunden, bevor er sie wieder senkte. Seine Stimme wurde sanfter. »Doch Gott ist gnädig. Er hat seinen einzigen Sohn, Jesus Christus, gesandt, um deine Sünden zu tilgen und dir durch Reue und Buße, Wahrheit und Demut einen Weg zur Erlösung anzubieten. Bereust du demütig deine Sünde gegen Gott, Hannah Payne? Bist du bereit, mit deiner ganzen Seele für den Mord an deinem Kind Buße zu tun?«
Hannah senkte ihr Haupt. »Ich bin bereit.« Als sie diese Worte sprach, bemerkte sie auf ihren Armen eine Gänsehaut – dieselben Worte hatte sie zu Raphael gesagt, bevor er die Abtreibung vornahm.
»Gut, dann geh in das Nähzimmer und näh dir eine Puppe, so wie du dir dein Kind vorstellst. Mach sie nicht nur aus Stoff und Faden, sondern mit all dem Kummer und all der Reue in deiner Seele. Bei jedem Stich stellst du dir das kostbare Leben deines Kindes vor, das du ausgelöscht hast: Seine Augen werden niemals das Wunder von Gottes Schöpfung sehen, sein Mund wird niemals an deiner Brust trinken oder Gott lobpreisen, seine Hände werden niemals deine Finger umklammern oder einen Ehering tragen. Nimm dir all die Zeit, die du benötigst, und wenn du damit fertig bist, kommst du wieder in unseren Kreis.«
Hannah stand auf und ging zur Tür. Als sie schon fast draußen war, sagte der Erleuchter: »Vergiss nicht, dem Baby einen Namen zu geben.«
Sie brauchte vier Tage, um die Puppe zu nähen. Sie arbeitete jeden Vormittag und jeden Nachmittag daran und selbst in ihren beiden freien Stunden am Abend. Es gab eine Nähmaschine, aber Hannah benutzte sie nicht. Sie wollte ihre Puppe mit eigenen Händen nähen. Sie arbeitete hochkonzentriert, fast wie in Trance. Die Puppe war ein Gebet, das Stich für Stich aus ihrer Seele kam, und sie nähte sie langsam und gewissenhaft. Wenn sie abends ins Bett stolperte, waren ihre Finger so verkrampft, dass sie kaum in der Lage war, ihr Nachthemd zuzuknöpfen.
Vormittags war sie allein im Nähzimmer, doch nach dem Mittagessen kamen zwei Gelbe hinzu. Sie verbrachten die Nachmittage damit, Kleider und Hauben zu nähen, und sie steppten Quilts und besserten gebrauchte Kleidung für die Armen aus. Die Frauen sprachen leise miteinander und störten Hannah nicht. Gelegentlich kam Mrs. Henley vorbei, um ihre Arbeit zu begutachten und neue Kleidungsstücke auf den Haufen zu legen. Meist ignorierte sie Hannah. Am dritten Tag jedoch ging sie zu ihr.
»Du nimmst dir sehr viel Zeit dafür«, sagte sie und spähte
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