Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
immer meine alte Mutter.»
    «Joe, was verschweigt Ihr mir?»
    «Nichts, was Euch weiterhelfen könnte. Nichts, über das ich etwas
wüsste.
»
    Er ging fort, und obwohl ich ihn nicht gut kannte, wusste ich, dass es ihm nicht ähnlich sah, sich so zu verhalten. Ich blieb einfach nur schweigend stehen. Nach etwa zehn Schritten drehte er sich noch einmal zu mir um. Er zögerte einen Moment und rief mir dann eilig zu: «Fragt Joan. Die letzte Hütte links, ganz oben in der Stadt, noch hinter der Schankstube.»
    Dann drehte er sich um, stolperte, zog sich seine Kapuze über den Kopf und rannte fast durch den Regen zurück in die Stadt. Seine übliche Gelassenheit war verschwunden.
    Warum nur?
     
    †
     
    Joan Tyrres Hütte musste einst – vor nicht allzu langer Zeit – ein Stall oder ein Schafunterstand für den Winter gewesen sein. Sie war aus Holzbrettern und Bruchsteinen zusammengezimmert worden, die man wohl anderweitig nicht verwenden konnte, es gab zwei offene Eingänge, und im Stroh pickten Hühner herum. Drinnen in der Hütte gab es eine weitere Tür mit einem Vorhang aus verfilzter grüner Wolle, die Joan vermutlich von Hecken und Büschen gezupft hatte. Hier hindurch kam man in den Raum, wo Joan lebte.
    «Einen Shilling?», begrüßte sie mich. «Wisst Ihr, es ist Sonntag, und da arbeite ich normalerweise gar nicht. Na, wie klingt das, Master Londoner?»
    Aus einer Nische in der Wand über dem Feuer holte sie ehrfürchtig ihre Kristallkugel hervor. Wie eine Frau mit solch begrenzten Mitteln dazu gekommen sein konnte, wusste ich nicht. Die Kugel war klein, aber fast so klar wie meine eigenen. Ich versuchte Joan zu erklären, dass ich heute nicht an einem Blick in die Zukunft interessiert sei.
    «Gut, dann Sixpence?»
    «Mistress Tyrre …»
    Aus meiner Tasche zog ich einen neuen Shilling und legte ihn auf die Bretter, die aus einem alten Trog einen Tisch machten. Der Raum war sauberer, als ich es erwartet hatte, und der stärkste Geruch kam von einem eisernen Suppenkessel, der über einem prasselnden Feuer hing.
    «Ahaaaa.» Joans zahnloser Mund verzog sich zu einem Grinsen. Dann stellte sie die Kristallkugel ab, nahm den Schal von den Schultern und öffnete das verblichene Kleidungsstück, das ihre Brust bedeckte. «Wenn Ihr
das
wollt …»
    «
Nein!
Ich … Ich will … Ich möchte einfach nur mit Euch reden.»
    «Reden?»
    «Reden.»
    Joan lehnte sich in die Schafsfelle zurück, die sie über ihrer Bank ausgebreitet hatte. Durch Risse in den Fensterläden und den Rauchabzug schien Licht herein.
    «Ihr tut Euch etwas schwer mit Frauen, hab ich recht? Ich spüre … einen richtigen
Aufruhr
in Euch. Ihr habt was Schlimmes erlebt. Was
richtig
Schlimmes. Stimmt doch, oder?»
    «Ja.»
    «Dabei geht es bestimmt um eine Frau. Eine Frau macht Euch Sorgen, so wahr ich hier sitze.»
    «Mistress Tyrre, ich weiß nicht, was man Euch erzählt hat …»
    Joan zog sich ihren Schal wieder um die knochigen Schultern, rückte ihre Augenklappe zurecht und sah mich durch den Rauch vom Feuer hindurch an.
    «Joe Monger hat mir gesagt, Ihr wollt für Nel sprechen.»
    «Ich werde alles unternehmen, um ihr zu helfen …»
    Ich schluckte.
    «Ihr seid ein guter Mensch», sagte sie. «Das spüre ich. Ein aufrichtiger Mensch. Wenn das doch nur alle Leute erkennen würden. Und ein freundliches, so trauriges Gesicht habt Ihr auch noch. Aber das
Traurigste …
» Ihr Blick folgte dem aufsteigenden Rauch. «Ja, das
Traurigste
daran ist … dass die meisten es wohl niemals erfahren werden.» Sie nahm den Shilling, lehnte sich zufrieden zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. «Also, Jungchen. Fragt mich nur, was Ihr wollt.»
    «Erzählt mir vom Feenvolk», sagte ich plötzlich.
    Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin. Manchmal hat man einfach ein Gespür dafür, wie man zu jemandem Zugang findet.

XLV Auge
    D as Feenvolk existierte. Es war so wirklich wie die Menschen auf der Straße. So wirklich wie ihre eigene Familie. Sie hörte ihre Stimmen seit … oh, seit einer langen Zeit schon, vielleicht sogar schon seit ihrer ersten monatlichen Blutung.
    Die Stimmen des Feenvolkes.
    «Was sind das für Stimmen?», fragte ich sie.
    Joan saß da wie ein Vogel auf der Stange.
    «Männerstimmen, Frauenstimmen. Sie sagen mir, was ich tun soll … Sachen, wegen denen ich Ärger mit meiner Mutter bekam. So was machen sie manchmal. Das Feenvolk prüft einen, müsst Ihr wissen, sie stellen den Mut eines Menschen auf die

Weitere Kostenlose Bücher