Die Gebeine von Avalon
daraus
Wahrscheinlichkeiten
abzuleiten.
Fürchte dich nicht vor der Prophezeiung, fürchte den Propheten, sage ich. Ganz besonders, wenn die Prophezeiung so deutlich wird wie:
bis zur Stunde, da ihr heldenhafter Vorfahre in Ehren bestattet sei.
Der Vorfahre: Artus.
Und
Morgan le Fay
?
Sie war die Hexenkönigin der Artussagen, das Haupt jener trauernden Schwesternschaft, die der Legende nach Artus in einer Barke zur Insel Avalon brachte. Es bestand kein Zweifel daran, dass Blanche hier eine Anspielung auf die Mutter der Königin machte. Meine Cousine hatte sich diese Verschlüsselung nicht selbst ausgedacht – dafür fehlte ihr die Phantasie – vielmehr entsprach sie wohl dem Wortlaut der Prophezeiung.
Anne Boleyn. Arme, dumme Anne Boleyn. Sie war genauso wenig eine Hexe wie Mistress Borrow. Deren Mutter …
Du meine Güte, was wusste
ich
denn schon? Wer wusste überhaupt schon etwas mit absoluter Sicherheit von diesen Dingen? Hexenkunst – weiße zumindest – ist oftmals nicht mehr als nur ein spiritueller Weg zu denselben Zielen, denen auch wir Christen uns verpflichtet fühlen. Auf einen Katholiken jedoch mussten Anne Boleyns notorische lutheranische Überzeugungen wie die übelste Form der Hexerei gewirkt haben. Alles andere als weißmagisch.
Hatte alles damit angefangen? War das der eigentliche Grund unserer Suche nach den Gebeinen von Artus gewesen? Eine «Prophezeiung», die die Königin gelesen hatte? Sie war so wissbegierig wie kaum jemand sonst, besaß dabei aber gleichzeitig eine Vorliebe für Triviales, für Klatsch und Tratsch. Und wie bereits erwähnt, war sie anfällig für Aberglauben, immer auf der Suche nach Zeichen und Omen.
Durch die neuen Freiheiten quoll London geradezu über vor falschen Propheten und spirituellen Taschenspielern, Männern und Frauen, die ein mystisches Netz woben, um damit nach Erkenntnissen zu fischen, die nichts mehr mit den Zielen der Wissenschaft gemein hatten.
Warum hatte sie mich nicht konsultiert?
Ich stand mit dem Rücken an die Hintertür gelehnt. Einsamkeit verdunkelte meine Stimmung wie der Beginn der Nacht. War mir etwas entgangen? Etwas, das schon fast von so schmerzlicher Offensichtlichkeit war, dass alle anderen bereits seit Jahren darüber lachten? War es vielleicht in Wirklichkeit so, dass niemand mir vertraute, niemand mich respektierte? Ein Mann, der im Ausland gelobt, zu Hause aber entweder als Zauberer gefürchtet oder als reiner Bücherwurm verspottet wurde. In diesem Zeitalter des Abenteuers mit seinen goldenen Wämsern, die funkelten wie die Sonne, war ich nicht mehr als ein armer Angestellter, der Sternenmuster aufzeichnete und
Wahrscheinlichkeiten
ableitete. Nicht gut genug. Kein Wunder, dass ein solcher Mann bisher weder mit einem Titel noch mit Grundbesitz belohnt worden war.
Seid Ihr in der Lage, zu den Engeln zu sprechen, John?
Das fragte sie, die mich manchmal besuchte, aber niemals mein Haus betrat.
Meine Knie wurden weich. Hatte die Königin vielleicht einen anderen, versierteren Berater für die Fragen aus dem Reich des Unbekannten gefunden? Warum hatte sie mir weder von der Prophezeiung noch vom allgegenwärtigen Gespenst ihrer Mutter erzählt?
Und welchen Ursprung hatte die Prophezeiung, die sie so ernst nahm? Wer steckte dahinter? Wer in England hatte einen solchen Zugang zu den königlichen Gemächern? Ich dachte über Sir Nicholas Throckmorton nach, den Botschafter in Frankreich, der laut Blanche immer wieder mit der Königin zu Unterredungen zusammenkam.
Lebst du gern gefährlich, John?
Im Gegensatz zu Dudley zählte ich die Gefahr nicht zu meinen Geliebten – diese Leidenschaft lässt sich nur schwerlich mit dem Studieren vereinen. Wie auch immer, da Carew wahrscheinlich noch vor dem Abend wieder hier eintreffen würde, wurde die Zeit knapp.
Ich ging hinauf in meine Kammer, nahm mir Papier, setzte mich an den Schreibtisch und schrieb eine Nachricht an Blanche Perry, die der Bote ihr überbringen sollte. Nichts Kryptisches, keine verborgenen Bedeutungen. Ich bat sie, mir das vollständige Manuskript dieser und aller anderen Prophezeiungen der letzten Zeit zukommen zu lassen, die die Königin zu Gesicht bekommen hatte, und fragte, ob Blanche etwas über deren Ursprung wisse.
Dann steckte ich ihren Brief in mein Wams, gleich neben den Dolch.
XXI Was Zauberei ausmacht
O ffenbar wollte Fyche nicht warten, bis Carew eintraf. Als ich aus der Hintertür in den Hof trat, den tiefhängenden Himmel so weiß wie
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