Die Gebeine von Zora
wirbelnden Sandmassen die Flucht ergriffen hatten.
Reith und Marot stellten hastig ihre Zelte auf und trieben die Heringe so tief wie möglich in die Erde. Sie waren noch nicht ganz fertig, als die Luft um sie herum buchstäblich zu brodeln begann. Mehrere Stunden lang kauerten sie in ihrem Zelt und lauschten mit klopfendem Herzen dem Tosen des Sturms, dem Augenblick entgegenbangend, wo ihr zerbrechliches Refugium von den entfesselten Urgewalten gepackt und davongewirbelt würde. Irgendwann begann es fürchterlich zu donnern, und dem Sandsturm folgte sintflutartiger Regen, der gegen die Zeltwände prasselte, als wäre ein ganzes Tambourcorps am Werk. Mehrere Male, wenn das Unwetter ihnen eine kurze Erholungspause gönnte, spähten sie hinaus, um zu sehen, ob die Ayas sich losgerissen hatten; aber die Tiere standen ruhig da, dicht aneinandergekauert, mit gesenkten Köpfen und geschlossenen Augen scheinbar stoisch den Naturgewalten trotzend.
Als das Unwetter vorüber war, war der Boden des Zeltes ein einziger Morast aus Schlamm und Matsch. Obwohl ihnen von dem langen krishnanischen Tag nur mehr ein paar Stunden geblieben waren, packten Reith und Marot ihre völlig durchgeweichten Sachen zusammen und zogen weiter, in der Hoffnung, irgendwo ein halbwegs trockenes Plätzchen für die Nacht zu finden.
Je weiter sie nach Westen kamen, desto spärlicher wurde die Vegetation. Zwischen gelegentlich auftauchenden Baumgruppen, die zumeist an Wasserläufen standen, dehnte sich offenes Terrain. Das krishnanische Äquivalent von Gräsern und Kräutern, Pflanzen, deren Stängel und Blätter grün, blau, golden und karmesinrot schimmerten, überzog wie ein löchriger Flickenteppich den lehmigen, roten Boden.
Am Abend ihres vierten Reisetages ritten sie in den Flecken Kubyab ein. Als sie die ungepflasterte Hauptstraße hinuntertrotteten, bemerkte Reith: »Ich nehme alles Abfällige, was ich über Jeshang gesagt habe, wieder zurück und behaupte das Gegenteil. Verglichen mit diesem gottverlassenen Kaff, ist Jeshang geradezu eine brodelnde Metropole!« Er winkte einem verspäteten Fußgänger. »Mein guter Herr, könnt Ihr uns sagen, wo wir hier einen Gasthof finden?«
Der Krishnaner blieb stehen, musterte die Fremden argwöhnisch und, antwortete etwas; aber er sprach so schnell und in einem so schaurigen Dialekt, dass Reith ihm nicht folgen konnte.
»Bitte, sprecht etwas langsamer!«
Beim zweiten Anlauf schaffte es der Krishnaner, Reith begreiflich zu machen, dass es so etwas wie einen Gasthof in Kubyab nicht gab, woraufhin Reith fragte: »Gibt es denn sonst eine Möglichkeit, wo Reisende die Nacht verbringen können?«
»Ich kann euch in meinem Haus unterbringen«, offerierte der Einheimische. »Gegen ein gewisses Entgelt, versteht sich.«
»Wie viel?«
Der Krishnaner zögerte einen Moment, dann sagte er: »Einen halben Kard pro Person und noch einmal einen halben Kard für Stall und Futter für eure Tiere.«
Marot sagte auf englisch: »Klingt vernünf …« Aber Reith fiel ihm ins Wort: »Zuviel für zwei arme Wanderer. Einen Kard für alles zusammen.«
Der Krishnaner schien einen Moment unschlüssig. Dann fragte er: »Seid ihr zwei nicht Ertsuma? Wir kriegen solche nur selten hier zu sehen.«
»Ja, wir sind Terraner. Was ist nun, abgemacht oder nicht?«
»Jedermann weiß, dass Terraner reicher sind als Dakhaqs. Warum sollten dann zwei große, reiche Herren wie ihr so knauserig gegenüber einem armen Landmann wie mir sein?«
»Weil Ihr fälschlicherweise annehmt, dass alle Terraner unerschöpfliche Börsen haben, und Ihr uns daher weit über dem üblichen Satz veranschlagt. Ich mache Euch einen Vorschlag: Wir zahlen Euch einen Kard für alles zusammen und beantworten Euch dafür alle Eure Fragen bezüglich unserer fernen, fremden Welt.«
»Das nennen ich ein kluges Angebot. Abgemacht, edle Herren. Hier entlang, wenn ich bitten darf.«
Das ›Haus‹ erwies sich als eine zweiräumige Hütte. Der Krishnaner stellte ihnen eine schlumperige Ehefrau und drei schmutzige Kinder vor. Alsdann zeigte er seinen beiden Gästen das einzige Bett. Er selbst und seine Familie würden im anderen Zimmer auf dem Fußboden nächtigen.
Als sie allein waren, fragte Marot vorwurfsvoll: »Warum musstest du dem armen Paysan denn den lumpigen halben Kard vorenthalten, Fergus? Mein Institut hätte das doch nie und nimmer gemerkt.«
»Weil ich mit solchen Leuten nicht zum ersten Mal zu tun habe. Wenn du gleich auf das erste Angebot eingehst,
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