Die Gebeine von Zora
besteht nämlich nicht der geringste Zusammenhang zwischen den praktischen Zwecken einer Verbindung und der emotionalen Beziehung zwischen den Ehepartnern. Solange die Ehe ihre politökonomischen Funktionen erfüllt, interessiert sich keiner der beiden Partner dafür, wie viele Liebesaffären der andere hat oder wer die Eier befruchtet – wie bei den Zweckehen zwischen den Königshäusern des präindustriellen Europas. Wer an seinen Partner oder andere einen sexuellen Ausschließlichkeitsanspruch stellt, wird als Barbar angesehen.
Das System faszinierte mich, und wenn ich nicht in Schwierigkeiten geraten wäre, wäre ich wahrscheinlich jetzt noch da. Aber so musste ich Hals über Kopf verschwinden.«
»Was ist denn passiert?«
»Du weißt vielleicht, dass die Sklaverei in Katai-Jhogorai ein heikles Thema ist. In jüngster Zeit haben sich dort einige Vereinigungen mit dem Ziel der Abschaffung der Sklaverei gegründet. Aber die Massen fürchten und hassen sie. Kurz vor meiner Ankunft hatte ein Mob einen Abolitionisten gelyncht, der in aller Öffentlichkeit eine Rede gegen die Sklaverei geschwungen hatte.
Eine dieser Vereinigungen hatte davon gehört, dass die Terraner gegen die Sklaverei wären, und schickte eine Delegation zu mir, um meine Unterstützung zu gewinnen.«
»Oh, oh!« seufzte Reith. »Ich weiß schon, was jetzt kommt.«
»Nein, das weißt du nicht! Ich weiß, was du denkst: Mal wieder typisch Alicia, mischt sich in die Angelegenheiten der Krishnaner ein und bringt alle Erdenmenschen auf dem Planeten in Gefahr.«
»Ich habe nichts dergleichen verlauten lassen.«
»Das brauchtest du erst gar nicht; ich kenne dich nur allzu gut. Nein, ich habe den guten Leuten eine eindeutige Absage erteilt und ihnen verboten, meinen Namen für ihre Propaganda zu benutzen.«
»Und was passierte dann?«
»Sie benutzten ihn trotzdem. Sie veröffentlichten eine Zusammenfassung ihres Interviews mit mir. Und da war der Schlamassel da.«
»Das heißt, du hast dich doch zum Thema Sklaverei geäußert, aber sozusagen inoffiziell.«
»Nun, sie stellten mir ein paar direkte Fragen, und da dachte ich, dann sollte ich ihnen auch direkte Antworten geben. Ich dachte, ich könnte ihnen vertrauen. Ich konnte doch wohl schlecht so tun, als wäre ich für die Sklaverei, oder?«
»Du hättest überhaupt jede Aussage zu dem Thema ablehnen können. Meine liebe Lish, du bist wirklich unverbesserlich, und glaub mir, eines Tages kostet dich das noch Kopf und Kragen. Du kannst wirklich dem Herrn auf den Knien danken, dass du da noch mal mit heiler Haut rausgekommen bist.«
Foltz und Marot kamen an den Tisch zurück. Foltz ließ sich schwer auf den Stuhl plumpsen und stülpte einen Becher Kvad hinunter. »Na, ich sehe, ihr seid dabei, eine alte Bekanntschaft wieder aufzufrischen. Das ist auch in Ordnung so – solange wie Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.«
»Wie bitte?« fragte Reith und fixierte Foltz mit einem kalten Blick.
»Ich sagte, solange wie Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.«
»Gedanken? Worüber?« Reiths Muskeln spannten sich.
»Über Alicia, Sie …« Das Wort ›Blödmann‹, das ihm schon auf der Zunge gelegen hatte, verkniff er sich im letzten Moment noch. »Sie ist meine Sekretärin, und ich lasse nicht zu, dass irgend jemand sich zwischen uns drängt.«
»Ich glaube, das zu entscheiden, ist einzig und allein die Sache der Dame«, versetzte Reith in scharfem Ton.
»Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden.« Foltz’ Artikulation zeigte die ersten Spuren von Alkoholeinwirkung. »Ich weiß, dass sie keine blauäugige Unschuld vom Lande ist und dass ich nicht der erste bei ihr bin: dieser Schwarzafrikaner, Sie, der Präsident von Qirib und was weiß ich, wer da sonst noch alles mitgemischt hat. Aber hier und jetzt ist sie meine … meine …«
Während Foltz noch nach einem passenden Wort suchte, begann Reith sich langsam von seinem Stuhl zu erheben, angespannt wie eine Feder kurz vor dem Zerspringen. Alicia sandte angstvolle Blicke vom einen zum anderen. Da rief Marot laut dazwischen:
»Ich glaube, es ist Zeit für uns zu gehen, meine Freunde. Wir hatten heute einen anstrengenden Tag. Ich darf mich noch einmal herzlich für die Einladung bedanken, Warren.«
»Oh, ah«, sagte Foltz, der seine Fassung wieder gefunden – zu haben schien. »Müsst ihr schon gehen? Glaubt ihr, dass ihr den Weg zurück findet?«
»Bestimmt«, erwiderte Marot. »Golnaz ist jetzt fast voll, und wir reiten einfach immer
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