Die Gebeine von Zora
Erdenmensch ihn vermittels eines irdenen Trinkkruges, welchselbigen er ihm mit der Wucht eines von einem Katapulte abgefeuerten Geschosses an den Schädel warf, daran gehindert, ’s hätte den Geschwänzten fürwahr um ein Haar das Leben gekostet. Seither sage ich allen osirischen Gästen, sie möchten vom Tanze Abstand nehmen, so sich Vertreter schwanzloser Gattungen auf der Tanzfläche drehen.
Seht, da kommen unsere gegenwärtigen Musikanten! Ich hoffe, ihre Darbietungen werden euch ergötzen!«
Fünf Musikanten stellten sich in einer Nische auf der gegenüberliegenden Seite der Tanzfläche auf und packten ihre Instrumente aus: eine Trommel, eine Harfe, eine Art Miniaturxylophon und zwei Holzblasinstrumente. Das Klappern der Ess-Stäbchen verstummte augenblicklich. Alles wandte sich gespannt der Kapelle zu.
»Ah!« sagte Marot in gespannter Erwartung. »Endlich komme ich einmal in den Genuss einer echten krishnanischen Musikaufführung! Das habe ich mir schon lange gewünscht, aber bisher hatten wir ja nie die Gelegenheit dazu.«
Der Harfenist gab das Signal zum Einsatz. Alle fünf Instrumente schmetterten unisono und mit ohrenbetäubendem Lärm ein aus vier Tönen bestehendes Motiv, da-da-da-DAMMM; und direkt danach wiederholten sie das gleiche Motiv, diesmal in einer etwas tieferen Tonlage, da-da-da-DAMM.
»Mon dieu!« schrie Marot und schlug sich gegen die Stirn. »Das ist ja Beethovens Fünfte! Von wegen, echte krishnanische Volksmusik!«
»Nun, aber er war ja auch wirklich ein großartiger Komponist«, sagte Alicia. »Ich habe das Stück schon auf einem japanischen Koto, einer indischen Sarangi, einer russischen Domra und von einer karibischen Steelband gehört. Und sogar auf Ken Strachans Dudelsack – zumindest behauptete er, es sei Beethovens Fünfte.«
Die Musikanten arbeiteten sich mit Geschepper und Gewummer durch den ersten Satz, dann erhoben sie sich, verneigten sich und verließen die Bühne, auf die jetzt eine prunkvoll ausstaffierte Krishnanerin trat.
Ihr Kostüm bestand aus einem flitterfunkelnden Lendenschurz, einer Tiara, einem üppigen glitzernden Halsschmuck aus mindestens einem Dutzend Ketten, deren Perlen und Edelsteine die nackten Brüste reizvoll umspielten; und juwelenbesetzten Sandalen. Reith nahm an, dass die Hunderte von glitzernden Steinen nichts weiter als Imitationen aus buntem Glas waren, was jedoch ihrer Schönheit gewiss keinen Abbruch tat: Es war wirklich hübsch anzusehen, wie sie im Licht der Lampen funkelten und blitzten wie tausend Smaragde, Rubine und Saphire.
Die Künstlerin nahm auf einem Stuhl Platz und begann Witze und Schwanke zu erzählen, jedoch in einem so ausgeprägten Dialekt und so sehr gespickt mit Slangwörtern, dass die Terraner kaum etwas verstanden. Die Krishnaner hingegen schienen ihren Vortrag umwerfend komisch zu finden, denn fast jeder Satz ging in einem Orkan des den Krishnanern eigenen kollernden Gelächters unter. Als nächstes führte sie einen Tanz auf, zu dem sie sich selbst auf einem kleinen kazooähnlichen Metallinstrument begleitete.
Als sie ihre Tanzdarbietung beendet hatte, verbeugte sie sich unter lebhaftem Fingerknacken (dem krishnanischen Äquivalent für Händeklatschen), dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl, schlug einen Akkord auf der Harfe an und begann zu singen:
Heimis tertem burin menplei essongfo mih …
»Irgendwo habe ich dieses Lied schon mal gehört«, sagte Marot stirnrunzelnd.
»Das ist gut möglich«, sagte Alicia. »Das ist Mr. Tamburine Man von Bob Dylan. Hey, Mister Tamburine man, play a song for me …«
Marot seufzte und schüttelte den Kopf. »Es ist schon niederschmetternd genug, wenn man mit ansehen muss, wie unser eigener Planet immer gleichförmiger in seiner Kultur wird. Egal, wohin man kommt, ob nach Afrika, Asien oder Grönland, überall kleiden sich die Leute auf die gleiche Art, hören dieselbe Musik, sehen dieselben Kinofilme und so weiter. Die jahrtausendealten Traditionen und Bräuche sind so gut wie ausgestorben und werden höchstens noch künstlich als Touristenattraktion aufrechterhalten. Und jetzt schlagen die Krishnaner auch schon denselben Weg ein.«
»Das wird noch einige Zeit dauern«, beruhigte ihn Reith. »Ich bin guter Hoffnung, dass sich zumindest zu meinen Lebzeiten noch genügend lokale Besonderheiten und Bräuche am Leben halten, so dass der Planet für Touristen weiterhin attraktiv bleibt. Im übrigen hat niemand den Krishnanern Beethoven oder Bob Dylan
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