Die Gebeine von Zora
sein«, knurrte Reith. »Lass die Schwerter, wo sie sind, Aristide. Sie sind sowieso noch mit ihren Drähten versiegelt.«
»Kann ich etwas tun, um euch zu helfen?« fragte Alicia.
»Zieh dir was über den Kopf und tu so, als würdest du uns nicht kennen«, zischte Reith.
»Aber ich kann euch doch nicht im Stich …«
»Es geht nicht anders. Du kannst nichts mehr für uns tun, wenn sie dich auch einsacken!«
»Mein Fossil!« ächzte Marot. »Sie werden es zerstören! Wo kann ich es nur verstecken?« Er zog den Sack unter seinem Sitz hervor. »Alicia, meine Teure, nimm den Sack in den Arm und tu so, als wäre es dein Baby, das du gerade stillst!«
»Aber wie …«, begann Alicia, die sich ein Kopftuch umgebunden hatte, um ihr auffälliges blondes Haar zu verbergen. Marot legte ihr den Sack auf den Schoß und flüsterte flehentlich, während er ihn aufschnürte: »Bitte! Tu mir den Gefallen, ich bitte dich inständig!«
»Verdammt schwerer Brocken, dieses Baby«, murmelte Alicia und begann sich die Bluse aufzuknöpfen. Sie schob eine Brust in die Öffnung des Sacks und fing an, ihn sanft hin und her zu wiegen und dabei vor sich hin zu summen. In dem Moment platzten von vorn und von hinten gleichzeitig bewaffnete Krishnaner in den Waggon.
»Ha!« schrie ihr Anführer triumphierend. »Die zwei dort passen trefflich auf die Beschreibung. Zanzir, wo ist der Steckbrief?«
Reith starrte mit größerer Gelassenheit, als er in Wirklichkeit fühlte, auf die Schwertspitzen, die auf seine Brust gerichtet waren.
»Ah, da haben wir ihn ja!« rief der Anführer. »Ein Terraner, Fergus Reith geheißen, von stattlicher Größe, mit kupferfarbenem Haar. Ein Terraner, Aristide Maghou geheißen, von ähnlicher Statur, jedoch größerer Leibesfülle, mit schwarzem, von grauen Strähnen durchsetztem Haupthaar; letzterer trägt zudem Augengläser. ‹ Meister Reith, Meister Maghou, ich nehme euch hiermit im Namen des Dasht von Chilihagh fest! Kommt mit! Versucht nicht, euch zu widersetzen, sonst wird alles nur noch schlimmer für euch. Und wo steckt nun jener vermaledeite mit Steinen gefüllte Sack, welchselbigen zu beschlagnahmen wir ebenfalls angewiesen sind? Haltet nach ihm Ausschau, Männer!«
Mehrere Krishnaner begannen, den Waggon zu durchsuchen. Sie wühlten in den Gepäckstücken herum und schauten unter die Sitze. Dem ›Baby‹ in Alicias Arm schenkte keiner Beachtung. Schließlich sagte einer der Männer: »Er ist nicht hier, Herr.«
»Oh, zum Hishkak!« brummte der Anführer. »Wir haben Befehl, unseren Auftrag mit größtmöglicher Eile zu erledigen.
Wir können unsere Zeit nicht damit vergeuden, dass wir alle Waggons’ auseinander nehmen, nur um einen blöden Sack voller Steine zu finden. Kommt mit, ihr zwei!«
»Was … was …«, protestierte Marot, als zwei Schergen ihn packten und in den Mittelgang zerrten.
»Das werdet ihr alles in Jeshang erfahren. Schafft sie hinaus!«
Die zwei Terraner wurden aus dem Waggon ins Freie bugsiert, wo sie sogleich von Kidnappern umringt wurden; nach Reiths Schätzung mussten es weit über hundert sein. Ein Blick zurück zum Zug verriet ihm, dass das Gleis herausgerissen worden war.
»Hier ist Euer Reittier, Meister Reith!« sagte ein Krishnaner. »Ihr könnt doch reiten? Damit Ihr nicht auf dumme Gedanken kommt und womöglich zu fliehen versucht, werden wir Euch festbinden. Haltet still!«
Man legte Reith eine Schlinge um den Hals und befestigte einen zweiten Strick an seinem rechten Handgelenk. »Nun steigt auf!«
Behindert von den Stricken, stieg Reith unbeholfen in den Sattel des Ayas. An einen Fluchtversuch war unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken. Die beiden Krishnaner, die ihn auf ihren Ayas flankierten, brauchten bloß an ihren Stricken zu ziehen, und schon würde er im hohen Bogen aus dem Sattel fliegen und mit voller Wucht auf den harten Felsboden aufschlagen.
Ein Krishnaner blies in eine Trillerpfeife, und die Reiter formierten sich zu einer Marschsäule. Auf einen zweiten Pfiff hin setzte sich der Trupp im Trab nach Westen in Bewegung. Marot, der auf die gleiche Weise gefesselt war, ritt hinter Reith. Reith richtete sich noch einmal kurz in den Steigbügeln auf und erhaschte einen letzten Blick von Alicia, die ihm, in ihr Kopftuch gehüllt, nachschaute. Als die Kavalkade in einen kurzen Galopp fiel, winkte sie ihm verstohlen zum Abschied.
Sie ritten den ganzen Tag hindurch und bis weit in die Nacht hinein, ohne ein einziges Mal zu rasten.
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