Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
härtesten Zukunft

    Wie lange schon seit mir zuerst an gefühlter Erfahrung
die Sinne erwuchsen; wie lange schon Sehnsucht und Gnade
über der innigen Brust. Oft schon als Knabe
wähnt ich am Äußersten mich. Äußerst an Größe vergehend.
Aber die Sterne sind da der übertreffenden Nächte,
und das Herz wird mir herrlicher, wie ichs auch berge, noch immer.

    Nicht, wie du ihn nennst, wird
er dem Herzen gewaltig.
Liebende: wie du dich rührst
bildest du dringend ihn aus.

    Wie junge Wiesen, blumig, einen Abhang
durch einen leichten Überzug von Wachstum
teilnehmend machen am Gefühl des Jahres,
windwissend, fühlend, milde, beinah glücklich
über des Bergs gefährlich-schräger Bildung:
so ruht Gesicht, hinblühend, mildvergänglich
auf dieses Schädels Vorderflächen, die,
absteigend, wie mit eines Weinbergs Neigung,
zum All sich halten, Strahlendem gegenüber.

    Hinter den schuld-losen Bäumen
langsam bildet die alte Verhängnis
ihr stummes Gesicht aus.
Falten ziehen dorthin …
Was ein Vogel hier aufkreischt,
springt dort als Weh-Zug
ab an dem harten Wahrsagermund.

    O und die bald Liebenden
lächeln sich an, noch abschiedslos,
unter und auf über ihnen geht
sternbildhaft ihr Schicksal,
nächtig begeistert.
Noch zu erleben nicht reicht es sich ihnen,
noch wohnt es
schwebend im himmlischen Gang,
eine leichte Figur.

    Hinschwindende ganz leicht, eh sie vergehen,
zurückzuhalten mit ein wenig Wink,
aus Abschiednehmen und Nicht-wiedersehen
ein Ding zu machen, so, daß dieses Ding
verschwendend lächelt und sich auf den Zehen
hinüberhebt um dem, was schon verging,
leis beizuwohnen (: Rosen und Ideen – )

    WITWE

    Die Kinder stehn ihr leer, des ersten Laubs beraubt
und scheinen einem Schrecken abzustammen,
dem sie gefiel. Sie griff sich mit den klammen
zehrenden Händen Höhlen in das Haupt.
Wär sie ein Stein im Freien, flösse dort zusammen
der große Regen, reiner als man glaubt,
und Vögel tränken … O Natur,
was hast du diese Mulden übersprungen
und sammelst den Geschöpfen Linderungen
in einer unvernünftigen Figur?

    Ist Schmerz, sobald an eine neue Schicht
die Pflugschar reicht, die sicher eingesetzte,
ist Schmerz nicht gut? Und welches ist der letzte,
der uns in allen Schmerzen unterbricht?

    Wieviel ist aufzuleiden. Wann war Zeit,
das andre, leichtere Gefühl zu leisten?
Und doch erkenn ich, besser als die meisten
einst Auferstehenden, die Seligkeit.

    Ob ich damals war – oder bin: du schreitest
über mich hin, du unendliches Dunkel aus Licht.
Und das Erhabene, das du im Raume bereitest,
nehm ich, Unkenntlicher, an mein waches Gesicht.

    Nacht, o erführest du, wie ich dich schaue,
wie mein Wesen zurück im Anlauf weicht,
daß es sich dicht bis zu dir zu werfen getraue;
faß ich es denn, daß die zweimal genommene Braue
über solche Ströme von Aufblick reicht?

    Der du mich mit diesen überhöhtest:
Nächten, – ist es nicht, als ob du mir,
Unbegrenzter, mehr Gefühl gebötest,
als ich fühlend fasse? Ach, von hier

    sind die Himmel stark, wie voller Leuen,
die wir unbegreiflich überstehn.
Nein, du kennst sie nicht, weil sie sich scheuen
und dir schüchterner entgegengehn.

    Wie das Gestirn, der Mond, erhaben, voll Anlaß,
plötzlich die Höhn übertritt, die entworfene Nacht
gelassen vollendend: siehe: so steigt mir
rein die Stimme hervor aus Gebirgen des Nichtmehr.
Und die Stellen, erstaunt, an denen du dawarst und fortkamst,
schmerzen klarer dir nach.

    Wer sagt, daß, wenn ich an ein Fenster träte,
sich nicht ein Sterbender herüberkehrt
und stöhnt und starrt und sterbend an mir zehrt?
Daß nicht in diesem Hause das verschmähte
Gesicht sich aufhebt, das nun mich begehrt?

    Hingestellte, wo die starke Fahrt

    Verständigt mit abnehmender Natur,
fällt mir die Kraft in dem, was ich erfuhr.
Den Engel stellt Gott vor wie eine Uhr,
er mag im Herbst künftigen Herbst empfinden.
Wir aber schlürfen mit den Winden
und ziehen Spur und wischen Spur.

    Das Meer blüht nie. Jetzt wieder wächst das Meer
und kommt sich von den Rändern stark entgegen,
und Christus, auf dem Überfluß von Wegen,
geht einzig gläubig drüber hin und her.

    Der Himmel singt in seiner Sicherheit,
hoch über Zeit die reichen Sterne singen,
wir treiben mit den abgehärmten Dingen
zwieschweigende Geselligkeit.

    In trüben Spiegeln suchen wir Beweis
für unser Aufstehn, während unbewiesen
der Schlaf zurückbleibt. Vielleicht Schlaf von Riesen
von unsrem ganzen Blute heiß.

    Doch eingeschränkt in morgengraue

Weitere Kostenlose Bücher