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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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und Widerstand
des Laufes, das Eröffnete genießend,
in stillen Armen auseinanderfließend,
der breitgewordene, der Adorant.

    (O Hälfte aller Welten, unerkannt,
sich auf mein unerkanntes Aufschaun schließend.)

    Tränen, Tränen, die aus mir brechen.
Mein Tod, Mohr, Träger
meines Herzens, halte mich schräger,
daß sie abfließen. Ich will sprechen.

    Schwarzer, riesiger Herzhalter.
Wenn ich auch spräche,
glaubst du denn, daß das Schweigen bräche?

    Wiege mich, Alter.

    FÜNF SONETTE
Für Frau Grete Gulbransson geschrieben
(um einen Doppelgänger völlig zu verdrängen)

    I
    Nicht als ein neues: äußerstens als eins,
das hinter Bücherreihn sich wiederfände,
gerate dieses Buch in Ihre Hände
und leugne seines Fortgewesenseins
verstecktes Los. O Bücher, Gegenstände,
aus unsichtbarer und erwollter Welt
geglückt geformt und plötzlich hingestellt
um Binnentage: Milderung der Wände.
Ist Leben Leben, setzt es nirgends aus,
wie geht es zu, daß man euch dennoch brauche
im vollen, wirkenden, beherzten Haus?
Gesicht, Gehör, Gefühl: sie reichen nicht
mehr Dasein aufzufassen: doch da spricht
die starke Stimme im entbrannten Strauche.

    II
    Stimme im Dornbusch. Streife, wem sie gilt,
die Schuhe ab und krümme sich und schlage
den ganzen Mantel vors Gesicht und sage
in seinen Mantel: Herr, ich bin gewillt.
Auch wer das nicht begreift, was ihn beruft,
der sei bereit. Es wird ihm in das grade
ungangbare Geheiß aus voller Gnade
ein schmaler Pfad hineingestuft.

    MARIA schritt, es schritten Kinder so
dem Anruf nach, und Mädchen traten leise
ans Unerkannte aus der Kammertür.
Der Held ertrotzt es sich auf seine Weise,
doch andre folgen nur und gehen froh,
als gingen sie durch Lüfte, durch Porphyr.

    III
    Der Held ist eins. Im Helden ist Gewalt.
Er neigt die Welt: die Zeit stürzt ihm entgegen.
(Aus einem roten Ton voll Erzgehalt
und aufgefangenem Gewitterregen
hat ihm der Herr die Faust geballt.)

    Da steht er, weithin sichtbar, und verschiebt
Schicksale rund um eine neue Mitte;
und tritt zu den Entzweiten als der Dritte
der ungehässig zürnt. Und wenn er liebt:
wo ist ein Herz, das er nicht überschritte?

    So nimmt er unaufhaltsam zu. Zuletzt
wirft ihn sein Schwung zu den gestirnten Bildern.
Daß er, in ihre Maße hinversetzt,
nachgebe, sich am Kreisenden zu mildern.

    IV
    Außer dem Helden ist noch dies: der Kreis:
Ein Strom stürzt hin durch Zeugen und Verbluten.
Abschiede biegen sich wie grüne Ruten.

    Wo giebt es eins, das nicht vom andern weiß?
Wie Teil und Gegenteil sich zart vermuten:
Derselbe Bau hält seine Pfeiler streng
und läßt, des Ganzen immer eingedenk,
sich gehen in den schwingenden Voluten.

    Kann sein, wir Ordnende, wir ließen nicht
das Strahlende so nahe an das Bange,
(erfahren, wie wir sind, im Untergange.)
Doch Frauen, denen es an Kraft gebricht,
die Kühnsten – , sieh: sie nehmen beides lange
und bieten’s uns im wirksamen Gesicht.

    V
    Der Liebende wird selber nie genug
Euch überschauen, unbegrenzte Wesen;
denn wer vermag ein Angesicht zu lesen,
an dem sein Blick sich schimmernd überschlug.
Der Dichter hofft, mit der und der Gestalt
Euch gleichnishaft, vorsichtig zu beweisen,
er steigt auf Eurer Spur von Kreis zu Kreisen
und macht erschrocken in den Himmeln halt.

    Am Ende ist er Euch am nächsten dann,
wenn er sich plötzlich, wie in süßer Trauer,
von einem Gartenweg nicht trennen kann:
Eidechse hat sich eilig weggeregt,
während er an die warme Weinbergmauer
fast feierlich die leeren Hände legt.

    WINTERLICHE STANZEN

    Nun sollen wir versagte Tage lange
ertragen in des Widerstandes Rinde;
uns immer wehrend, nimmer an der Wange
das Tiefe fühlend aufgetaner Winde.
Die Nacht ist stark, doch von so fernem Gange,
die schwache Lampe überredet linde.
Laß dichs getrösten: Frost und Harsch bereiten
die Spannung künftiger Empfänglichkeiten.

    Hast du denn ganz die Rosen ausempfunden
vergangnen Sommers? Fühle, überlege:
das Ausgeruhte reiner Morgenstunden,
den leichten Gang in spinnverwebte Wege?

    Stürz in dich nieder, rüttele, errege
die liebe Lust: sie ist in dich verschwunden.
Und wenn du eins gewahrst, das dir entgangen,
sei froh, es ganz von vorne anzufangen.

    Vielleicht ein Glanz von Tauben, welche kreisten,
ein Vogelanklang, halb wie ein Verdacht,
ein Blumenblick (man übersieht die meisten),
ein duftendes Vermuten vor der Nacht.
Natur ist göttlich voll; wer kann sie leisten,
wenn ihn ein Gott nicht so natürlich macht.
Denn wer sie innen, wie sie drängt,

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